Tote essen kein Fast Food
deutete auf die Stelle. âJaaan, da. Schnell.â
Ich weià nicht, woher, aber ich wusste, dass es Mia war. Ich wusste es einfach. War sie tot? Waren wir zu spät gekommen? War sie hier einsam im Nebel in der Nordsee ertrunken und an diesen monströsen Wellenbrechern zerschmettert worden? Hatte sie einen Anfall gehabt und sich das Rückgrat gebrochen? Oh, bitte, nein. Was für ein ScheiÃ-Tod. Ich schüttelte mir die Haare aus dem Gesicht. Das durfte einfach nicht sein.
Der Anblick der weiÃen Hand, die von den Wellen hochgehoben und wieder fallen gelassen wurde wie ein totes Stück Treibholz, spülte eine Adrenalinwelle durch mein Blut. Die Tränen, die mir aus den Augen schossen, spürte ich nicht. So schnell es ging auf dem immer glitschiger werdenden Damm, von dem schleimig grüner Seetang wie der Bart eines Seeungeheuers herabhing und im Salzwasser auf und ab wippte, tastete ich mich weiter, nur den einen Gedanken im Kopf: Bitte, lass sie nicht tot sein. Bitte, bitte nicht!
Verbissen kämpfte ich mich vorwärts, den Blick stur geradeaus auf Mia gerichtet beziehungsweise auf die Stelle, wo sich die Nebelfetzen vor ihr wieder zu einer weiÃen Wand geschlossen hatten. Das war ein Fehler. Einen Rest Aufmerksamkeit wenigstens hätte ich auf mich selbst konzentrierensollen. So genügte eine Sekunde der Unachtsamkeit, um die Rettungsaktion beinahe scheitern zu lassen. Ich übersah eines der Seetangpolster zu meinen FüÃen. Als ich mit dem rechten Fuà darauftrat, kam ich ins Rutschen. Unaufhaltsam. Meine Finger griffen ins Nichts. Die glatte Betonoberfläche der Poller bot keinerlei Halt und mit einem gellenden Schrei stürzte ich in die anthrazitgraue See, die sich an den Pollern brach und über mir zusammenschlug. Ich schluckte eine satte Portion Salzwasser, während ich versuchte, mich irgendwo am Damm festzuhalten und gleichzeitig einen Sicherheitsabstand zu wahren.
Verzweifelt krallte ich mich an einem Tau-Rest fest, den ich in einem Spalt zu fassen bekommen hatte. Bis ich den Kopf endlich über Wasser bekam, waren meine Klamotten bis auf die letzte Faser durchnässt und zogen mich hinunter Richtung Meeresboden. Mit den FüÃen versuchte ich, irgendwo Halt zu finden, doch vergeblich. Gleichzeitig machte die nasse Kleidung mich zentnerschwer und ich spürte, wie meine Kraft nachlieÃ. ScheiÃe, ScheiÃe, ScheiÃe. Angst kroch mir in jede Körperzelle. Sollte ich hier jetzt auch noch draufgehen?
âFanny, hier, versuch meinen Gürtel zu fassen.â Gott sei Dank. Jan war da. âFanny, los, versuchâs.â
Die salzige Gischt brannte mir in den Augen. Ich griff nach dem Ende des grob geflochtenen Lederriemens, der über meinem Kopf baumelte, aber er glitschte mir immer wieder aus den Fingern. âIch schaffâs nichtâ, schrie ich und schluckte dabei noch mehr Wasser.
âDu musstâ, schrie Jan zurück.
Verzweifelt strampelte ich mit den Beinen. Da, endlich!An einer Stelle unter Wasser war offenbar ein Stück Beton aus dem Poller herausgebrochen. Es gelang mir, meinen rechten Fuà in die Nische zu setzen. Gleichzeitig erwischte ich Jans Gürtel und konnte mich ein Stück hochziehen. Ich hatte das Gefühl, siebzig Kilo zu wiegen statt knapp fünfzig. Eineinhalb Meter über mir stemmte Jan sich mit den FüÃen auf das nach innen verkantete Ende eines Pollers. Mit beiden Händen hatte er das Schnallenende seines Gürtels gepackt und zog mich Zentimeter für Zentimeter nach oben. SchlieÃlich umfasste er mit einer blitzartigen Bewegung mein Handgelenk.
âDas war knappâ, keuchte er, während er mich an sich zog und ich spürte, wie meine Muskeln nachgaben. Jans feuchte Locken klebten grün schimmernd statt blond an seiner Stirn und es tropfte daraus in mein Gesicht.
Ich fühlte mich völlig ausgepumpt, unfähig, mich zu rühren. Aber eine Verschnaufpause konnten wir uns nicht erlauben. Wir mussten weiter. Da vorn lag Mia, und wir waren ihre einzige Chance. Ich musste mich zusammenreiÃen. Ich musste einen Fuà vor den anderen setzen. Und beide Hände dazu.
Jan kletterte jetzt dicht hinter mir. Wir schoben und zogen uns gegenseitig, damit nicht noch mal einer abstürzte. Fast gleichzeitig erreichten wir das Mädchen, das zu der bleichen, auf der Wasseroberfläche treibenden Hand gehörte, und ich war mehr als froh, dass nicht ich jetzt an
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