Tote essen kein Fast Food
und sprang die Treppe hoch. âDa ist es am wärmsten. Und am ruhigsten.â
Mit perfektem Timing hatte Marzipan unsere Abwesenheit und den häuslichen Frieden genutzt, um in aller Ruhe Mutter zu werden. Seither hing sie lasziv in ihrem Kletterbaum und betrachtete von oben gelangweilt ihre Brut. Sie bestand aus neun braun gesprenkelten weiÃen Eiern und erinnerte mich verschärft an eine Riesenladung Hühnerkacke. Frida hatte begeistert festgestellt, dass man durch die ledrig weiche Schale bereits die winzigen Reptilien hindurchschimmern sah. Beunruhigt von Marzipans Rabenmutter-Attitüde hatte sie fürsorglich das Unterhemd meines Vaters â es besaà mittlerweile die gleiche Farbe wie die Eier â um Marzipans kostbares Gelege drapiert und ihre Installation in der Badewanne untergebracht. Für Jasper hatte das immerhin den Vorteil, dass er endlich wieder in Zivil herumlaufen durfte, ansonsten war es einfach nur eklig.
âDas kann ja wohl nicht wahr sein.â Angewidert zerrte ich den Chiquita-Bananenkarton mit seiner dicken Sandeinlage, Martins Ex-Unterhemd und den Hühnerkacke-Eiern aus der Wanne und drückte ihn Frida in die Arme.
âMenno, Fanny, die müssen doch schlüpfen.â
âDa soll sich gefälligst Marzipan drum kümmern und ihre Minimonster selbst warm halten.â
âAber Kornnattern haben keinen Brutinstinkt. Die legen die Eier ab und fertig.â
âWie praktisch. Und jetzt soll ich ihre Mutter spielen, wenn ich ein Bad nehmen möchte, oder was? Ich will dir mal was sagen: Ich hab auch keinen Brutinstinkt. Ich krieg nur einen Würg-Instinkt, wenn ich die Biester sehe.â
âAber sie stören dich doch gar nicht. Die liegen da ganz friedlich und ...â
â... ich steh hier ganz friedlichâ, unterbrach Martin mit dem olivgrünen Telefonhörer an seiner vorsintflutlichen Strippe in der Hand von unten unser Wortgefecht. âBitte tut mir nichts. Hier, für dich, Fanny.â
âUnd ob die mich störenâ, zischte ich Frida zu, trabte barfuà an ihr vorbei die Treppe hinunter und blökte einen Tick zu laut âHalloâ in den Hörer.
âPolizeiwache Westerlandâ, blökte es zurück. âSpreche ich mit Helena Filius? Der jungen Dame, die die flüchtige Mia Sander gefunden hat?â Ich verzog das Gesicht, verzichtete aber auf lange Erklärungen.
âJa, hier ist Fanny Filius.â
âMoin, Frau Filius. Ich habe hier eine Handynummer für Sie. Ein junger Mann namens Lars Andresen bittet Sie um Rückruf. Wir konnten ihm nicht einfach Ihre Nummer überlassen. Datenschutz.â Dann leierte mir die Frauenstimme eine zehnstellige Nummer ins Ohr, die ich mangels Alternative mit Sveas türkisem Kajalstift auf Tante Hedis halb erblindeten Flur-Spiegel schrieb. Lars Andresen? Was konnteIgel von mir wollen? Es war zwei Tage her, dass er mir sein âquittâ aus dem Ambulanzwagen zugelächelt hatte.
âWie gehtâs Mia?â, fragte ich, als er nach sechsmal Klingeln abhob.
âDas kannst du sie selbst fragenâ, erwiderte er. âSie möchte dich und deinen Freund gern sehen.â
âWo ist sie jetzt? In der Zeitung gabâs nur eine kurze Meldung.â
âNa, noch immer im Krankenhaus. Ihr linker Fuà ist gebrochen. Ansonsten hat sie zum Glück nur ein paar Kratzer und eine Gehirnerschütterung abbekommen. Ihre dicke Lederjacke hat das Schlimmste verhindert.â
âOkayâ, sagte ich. âWo genau finde ich sie da?â
Drei Stunden später betrat ich zum zweiten Mal in diesen Ferien die Nordsee-Klinik. Diesmal auf zwei Beinen und mit Jan an meiner Seite, aber kaum weniger angespannt.
Mia lag allein in einem Zweibettzimmer in der dritten Etage mit Balkon und Blick aufs Meer. Als wir eintraten, saà sie im Bett und war damit beschäftigt, systematisch einen eng beschriebenen Karoblock erst in schmale Streifen und dann zu Vierecken zu zerreiÃen. âHiâ, sagte sie und blickte von ihrem Zerstörungswerk auf.
âHi.â
Hätte ich nicht gewusst, dass es sich um Mia handelte, hätte ich sie nicht erkannt. Michael-Jackson-bleich schaute sie unter ihrem pechschwarz gefärbten Haarschopf hervor, der in alle Richtungen abstand. Ohne ihr Gothic-Vampir-Make-up und das martialische Nasenpiercing sah sie viel jünger aus als auf dem Foto in der Zeitung. Irgendwie verletzlich und kein
Weitere Kostenlose Bücher