Tote gehen nicht
seinen Haaren hing.
»Er ist bestimmt nicht mehr gut«, sagte sie und rümpfte die Nase.
Er schraubte die Flasche auf und schnupperte. »Was soll daran schlecht werden?«
»Der Alkohol verfliegt.«
Er setzte Wasser auf, suchte nach Tassen und Teebeuteln, Löffeln und Zucker. Sonja dirigierte ihn umher. Als der Wasserkessel summte, hatte er alles bereitgestellt, zog sein Jackett aus, hängte es über eine Stuhllehne und setzte sich sichtlich erschöpft an den Tisch. Er trompetete in sein Taschentuch, öffnete den obersten Knopf seines Hemdes und lockerte die Krawatte.
Es war dunkel geworden, als der Rum mit Tee in ihren Tassen leer war. Sie hatte Wesseling gebeten, den CD-Spieler einzuschalten, und hatte ihm das Reden überlassen. Zur dahinperlenden China-Musik philosophierte er über den Eifelsteig, die beiden Morde, das Leben in Wolfgarten, Euskirchen und Bonn. Sogar ein bisschen über seine Pollenallergie, die er als Strafe für eine Sünde, die er – leider – noch nicht begangen habe, betrachtete. Zum Schluss auch über Hilde, seine Frau, von der er glaubte, dass sie sich verändert habe. Seine Stimme war beruhigend.
Der Regen war zurückgekommen, die Tropfen klatschten so laut und ungemütlich gegen die Sprossenfenster, dass Wesseling zwischendurch aufstand und die Vorhänge vorzog, um wie er sagte, nicht mit ansehen und -hören zu müssen, wie die Pollen eine nach der anderen starben.
»Ja, ich erinnere mich, du kannst nicht gut Leichen sehen«, sagte Sonja und gähnte ausgiebig. Unendliche Müdigkeit legte sich auf sie. Ein kurzer, innerer Ausflug ins Land der aufgehenden Sonne hatte ihr gezeigt, dass sie nicht in der Lage war, das Chi zu wecken, weil ihr rechtes Bein nicht mitspielte. Auch nicht mental.
Als ihr Kopf zur Seite fiel, wehrte sie sich nicht. Als Wesseling ihr den Strohhalm aus dem Mund zog, bemerkte sie es nicht.
Wach wurde sie von heftigem Schnaufen und Schaukeln. Als sie die Augen öffnete, blickte sie direkt auf Wesselings gerötete Nase. Sie lag in seinen Armen wie ein Paket. Er schleppte sie die Stiege hoch und legte sie aufs Bett. Sie streckte sich aus.
»Gute Nacht. Schlaf gut«, sagte er, zog die Decke unter ihr hervor und wollte sie über sie legen, als Sonja im letzten Moment seine Krawatte zu fassen bekam und ihn zu sich hinunterzog. Sein dezenter Herrenduft war plötzlich nicht mehr dezent.
»Wie wäre es mit einer Gute-Nacht-Geschichte?«
Nasenspitze an Nasenspitze, und Sonja ließ nicht locker, ehe sie nicht seine Lippen auf ihrer Wange spürte. Er ließ sich neben sie auf den Rücken fallen und begann: »Es war einmal eine Kommissarin und ein Staatsanwalt ...«
»Hauptkommissarin«, unterbrach Sonja ihn. »Und Oberstaatsanwalt. So viel Zeit muss sein.«
Er stützte sich auf seinen Ellbogen und fuhr mit dem Zeigefinger ihr Profil entlang.
Die Geschichte war noch nicht zu Ende, als ein Hupen der romantischen Situation im Forsthaus ein brutales Ende bereitete.
Wesseling stöhnte auf. »Mein Auto.«
»Ich habe keine Klingel«, erinnerte Sonja ihn. »Und die Haustüre ist offen.«
»Aber Neugebauer weiß nicht, dass man sich dreimal dagegen fallen lassen muss«, versuchte er sich zu beruhigen.
Hämmern gegen die Haustür. Tok. Tok. Tok.
»Doch«, meinte Sonja.
»Er war hier?« Wesseling fuhr hoch.
Tok. Tok. Tok.
»Er hat mich einmal hier abgeholt, als ich kein Auto hatte.«
Wesseling war mit einem Satz aus dem Bett, ordnete im Herablaufen, was nicht mehr an Ort und Stelle saß, und rief durch die geschlossene Haustür: »Danke, Neugebauer. Sie können wieder fahren!«
Neugebauer sagte irgendetwas von draußen, woraufhin Wesseling die Tür aufriss und sagte: »Stimmt.« Danach lief er in die leere Wohnküche, wo das Licht noch brannte und die leeren Rum-Tassen auf dem Tisch standen, langte nach seinem Jackett und sagte laut zum leeren Ohrensessel: »Auf Wiedersehen, Frau Senger, und gute Besserung.«
»Von mir auch!«, fügte Neugebauer von der Haustüre aus hinzu.
»Gute Nacht!«, sagte Sonja leise oben in ihrem Bett, heilfroh, dass Wesseling die Vorhänge in der Wohnküche zugezogen hatte.
Die Haustür fiel zu.
Sie humpelte ans Fenster und sah auf Wesseling hinab. Sein Mittelscheitel war völlig durcheinandergeraten. Der Motor des oberstaatsanwaltlichen Audis wurde angeworfen, zwei Autotüren fielen ins Schloss, Wesseling trat auf das Gaspedal und startete durch. Der Motor heulte auf. Die Räder knirschten auf dem nassen, steinigen Boden. Es gab ein
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