Tote gehen nicht
Befehl«, sagte Lutz. »Soll ich nicht auch nach der Frau auf der Bank sehen?«
»In Ordnung«, sagte Neugebauer und wedelte mit der Pistole. »Aber schnell und keine Tricks.«
Sonja Senger hatte ihr verletztes rechtes Bein in der Zwischenzeit auf die Bank gelegt, die Hose hochgekrempelt und die Socke heruntergeschoben.
»Ein deutlicher Fußabdruck«, diagnostizierte Lutz, der sich neben sie kniete und das Bein kurz untersuchte, indem er es hob und senkte, drehte und wendete, das Knie beugte und streckte. Sonja biss die Zähne zusammen. Sein Zeigefinger zeichnete eine Spur auf ihr Bein. »Hier. Man kann das Profil sehr gut erkennen. Muss ein ganz neuer Schuh gewesen sein. Ein Bluterguss, eine Prellung oder eine Zerrung. Mehr aber wohl nicht. Kein Bruch. Ein kalter Umschlag wäre nicht schlecht.«
»Danke für den Tipp, Herr Doktor!«, sagte Sonja.
»Aufstehen! Hände hoch!«, schnauzte Neugebauer und wies Lutz mit der Pistole in der fuchtelnden Hand zurück auf seinen Platz neben Rita. Als er ihr damit die Sicht auf Edgar nahm, machte Rita einen kleinen Ausfallschritt. »Stehen bleiben!«
Brummer übernahm die Bewachung der beiden Gefangenen, während Neugebauer, der über einen unerschöpflichen Vorrat an Kabelbindern zu verfügen schien, zwei weitere aus der Hosentasche zog. »Hände auf den Rücken«, kommandierte er, legte die Kabelbinder an die Handgelenke und blickte sich suchend nach einem geeigneten Pfahl um. Als er keinen fand, dirigierte er Rita und Lutz so weit auseinander, dass sie nicht miteinander reden konnten, ohne dass es jeder gehört hätte, und befahl ihnen, sich zu setzen. Neugebauer zauberte zwei weitere Kabelbinder hervor und band sie um die Fußgelenke.
»Wenn mein Freund nicht bald eine Infusion bekommt, sehe ich schwarz«, prophezeite Lutz und schürte in allen die Angst.
»Klugscheißer!«, schimpfte Neugebauer nervös.
»Ich hätte in meinem Auto ein Medikament, das wenigstens die Blutung zum Stillstand bringen könnte.«
Edgar sagte irritiert: »Aber dein Auto steht in Trier.«
»Das glaube ich nicht!« Es folgten zwei heftige Niesgeräusche.
Edgar hob erschreckt den Kopf. Der Oberstaatsanwalt! Er erkannte ihn sofort, obwohl er sein Gesicht hinter einem karierten Taschentuch verbarg. In Begleitung dieses Kommissars, Roggenfänger oder, nein, Roggenmeier hieß er! Fehlte nur noch Guido! Dann wären sie komplett. Alle noch einmal auf die Bühne. Applaus. Vorhang. Applaus. Ende der Vorstellung. Die beiden Männer waren lautlos und wie aus dem Nichts aufgetaucht und hatten sich zu der seltsamen Runde gesellt. Der Notarzt wäre Edgar lieber gewesen.
»Und Sie haben wieder Gefangene gemacht!«, lobte der Staatsanwalt die Kommissare Brummer und Neugebauer. »Sehr schön!« Er schritt die Reihe der Gefangenen ab wie ein Kommandeur sein Heer, ein sitzendes zwei-Mann-Heer.
Er blieb vor Rita stehen und blickte auf sie hinab, als prüfe er, was man ihm über sie gesagt hatte: Dunkelbrauner, kinnlanger Bob, schwarze Windjacke, kein Gepäck. Ihre berühmten Storchenbeine lagen angewinkelt auf dem Boden. »Rita Funke, nehme ich mal an?«
Sie nickte und sah auf ihre gefesselten Handgelenke. Ihre Finger waren krumm wie Krallen. Eine Blutspur zog sich über ihre rechte Hand.
Edgar wandte den Kopf zur Seite und schloss die Augen. Er wollte nicht mitbekommen, wie der Staatsanwalt sie befragte. Am liebsten wollte er nicht hören, was sie sagte, aber ihm blieb keine Wahl, weil er nur ein Ohr zuhalten konnte. Er hörte noch immer zu viel.
»Woher wussten Sie, wo Sie Edgar heute finden würden?«, fragte der Staatsanwalt.
»Ich habe es gespürt.«
»Wie bitte?«
Sie blickte ihn voller Verachtung an.
»Von Guido Schramm oder Lutz Winkelmann?«, fragte er.
»Von Guido Schramm nicht«, sagte sie.
»Also von Ihnen«, sagte Wesseling, wandte sich an Lutz und stieß gegen seinen Fuß. »Reichte es Ihnen nicht, Ihren Freund Edgar Hunderte von Kilometer laufen zu lassen, während Sie bequem im Auto saßen?«
»Was soll das denn heißen?«, fragte Edgar entsetzt, aber niemand beachtete ihn.
Lutz schüttelte den Kopf und murmelte Unverständliches.
»Nein? Er sollte auch noch von seiner Ex verfolgt werden?« Lutz blickte auf und grinste. »Ich wollte ihr einen Gefallen tun.«
»Ich habe ihn nicht verfolgt, ich wollte ihn nur beschützen«, mischte sich Rita ein. »Sonst nichts.«
»Sonst nichts«, wiederholte der Staatsanwalt. »Vor Helena Finn und Anna Grund, die Sie sicherheitshalber gleich
Weitere Kostenlose Bücher