Tote im Salonwagen
ausgebreitet, versperrte den dreien den Weg, und es sah ganz so aus, als wollte er in allernächster Zeit vom Wort zur Tat schreiten.
»Pardon, Herr Fandorin«, brummte Burljajew mit verlegener Baßstimme, wobei er den Hut abnahm und sich mit der Hand über die graumelierte harte Bürste fuhr, »es liegt hier wohl ein Mißverständnis vor. Ich habe eine Depesche aus dem Polizeidepartement erhalten.« Er wedelte mit einem Papier. »Darin wird mitgeteilt, Generaladjutant Chrapow sei ermordet worden, und, äh … Sie wären der Mörder, weshalb ich mich gezwungen sehe, Sie unverzüglich in Haft zu nehmen. Die müssen übergeschnappt sein, aber … Befehl ist Befehl … Wenn Sie die Güte hätten, Ihren Japaner zu besänftigen, ich weiß vom Hörensagen, was für ein flinker Fußkämpfer er ist.«Und so absurd es war: Als erstes empfand Fandorin Erleichterung (nämlich bei dem Gedanken, daß die Frage des Händedrucks sich von selbst erledigt hatte), bevor er den ungeheuerlichen Sinn des Gesagten erfaßte.
Der Verdacht fiel erst von Fandorin ab, nachdem der verspätete Kurierzug eingefahren war. Noch vor dem Stillstand des Zuges sah man einen weißblonden Gendarmerie-Stabsrottmeister mit verzerrten Gesichtszügen aus dem Ministerwagen auf den Bahnsteig springen; böse Verwünschungen ausstoßend, stürzte er dorthin, wo zwischen den beiden Spitzeln der arretierte Staatsrat stand. Doch der Stabsrottmeister war noch nicht heran, als er in einen zögerlichen Schritt verfiel und schließlich ganz stehenblieb: Er klapperte mit den kaum bewimperten Lidern, hieb sich die Faust auf den Schenkel.
»Das ist er nicht! Das ist er nicht! Er sieht ihm bloß ähnlich! Und nicht mal sehr! Höchstens der Schnurrbart und die grauen Schläfen, sonst überhaupt nicht«, murmelte der Offizier wie vor den Kopf geschlagen. »Wen habt ihr da angeschleppt? Wo ist Fandorin?«
»Ich
bin
Fandorin, mein lieber Herr von S-s-… Seydlitz, das versichere ich Ihnen«, sagte der Staatsrat übertrieben sanft, so als spräche er zu einem Geisteskranken, und wandte sich dann an Burljajew, dem die Schamröte ins Gesicht gestiegen war. »Herr Oberstleutnant, würden Sie bitte Ihren Leuten b-b… begreiflich machen, daß sie meine Ellbogen loslassen können? Und sagen Sie, Stabsrottmeister, wo steckt Oberstleutnant Modsalewski, wo sind Ihre Wachleute? Ich muß sie sämtlichst anhören und ihre Aussagen zu Protokoll nehmen.«
»Anhören? Zu Protokoll nehmen?!« rief Seydlitz mit brüchiger Stimme und reckte die geballten Fäuste gen Himmel. »Was denn zu Protokoll nehmen, Himmel noch mal? Haben Sie noch nicht begriffen? Er ist tot! Tot! Alles ist aus, mein Gott! Aber wir müssen schleunigst die Gendarmerie mobilisieren, die Polizei! Wenn ich dieses Scheusal nicht finde, diesen Satan …« Er verhaspelte sich, wurde von einem Schluckauf geschüttelt. »Aber ich werde ihn finden, das steht fest! Und wenn ich die ganze Erde umwühlen muß! Ich leiste Satisfaktion! Sonst kann ich mir nur noch die Kugel geben!«
»Ist ja gut!« entgegnete Fandorin, immer noch so lammfromm wie zuvor. »Den Stabsrottmeister werde ich wohl besser etwas später befragen, wenn er wieder alle beisammen hat. Beginnen wir mit den anderen. Der B-bahnhofsvorsteher soll sein Kabinett für uns räumen. Die Herren Swertschinski und Burljajew bitte ich bei den Verhören anwesend zu sein. Anschließend werde ich zu Seiner Erlaucht fahren und Bericht erstatten.«
»Aber wie verfahren wir mit dem Leichnam, Euer Hochgeboren?« kam die zaghafte Frage des in respektvoller Entfernung stehenden Zugbegleiters. »So eine hochstehende Persönlichkeit … Wohin mit ihm?«
»Wie, wohin?« fragte der Staatsrat verwundert. »Gleich k-kommt der Leichenwagen, und dann ab mit ihm ins Leichenschauhaus. Zur Obduktion.«
»… woraufhin Adjutant Modsalewski, der als erster die Fassung wiedergewann, ins Bahnhofsgebäude rannte und eine chiffrierte Depesche an das P-p-… Polizeidepartement aufgab.« Fandorins umfänglicher Rapport näherte sich dem Ende. »Zylinder, Macintosh und Dolch sind zur Untersuchung ans Laboratorium übergeben. Chrapow liegt im Leichenschauhaus. Seydlitz bekam eine Beruhigungsspritze.«
Im Raum war es still geworden, nur die Uhr tickte, und die Fensterscheiben klirrten unter dem Ansturm des heftigen Februarwindes. Fürst Wladimir Andrejewitsch Dolgorukoi, der Generalgouverneur der altehrwürdigen Metropole, bewegte in sich gekehrt die runzligen Lippen, zupfte an seinem
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