Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan

Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
Vom Netzwerk:
krabbelten.
    Als wir am Boden der Senke angekommen waren, mußte sich der Arbeiter mit dem Pferdeschwanz kurz orientieren. Dann ging er nach rechts, und ich folgte ihm. Im Gehen schlug ich nach Moskitos, bog Zweige zur Seite und spähte durch die vor meinen Augen herumtanzenden Wolken winziger Stechmücken nach vorn. Ab und zu flog mir eine von diesen Mücken direkt ins Auge, so daß ich heftig blinzeln mußte. Bald stand mir der Schweiß in dicken Tropfen über der Oberlippe, und meine Haare klebten am Kopf, so daß ich mir keine Sorgen mehr wegen irgendwelcher herumfliegender Strähnen machen mußte. Gottseidank hatte ich keine besseren Klamotten angezogen.
    Etwa fünfzehn Meter vom Fundort entfernt brauchte ich niemanden mehr, der mir den Weg wies. Jetzt nämlich durchdrangen die unverkennbaren Ausdünstungen des Todes das lehmige Aroma der vom Sonnenlicht erwärmten Walderde. Nichts auf der Welt riecht so schlimm wie verwesendes Fleisch. Dieser süßliche, Übelkeit erregende Gestank verstärkte sich bei jedem meiner Schritte wie das Zirpen einer Grille, das langsam anschwillt, wenn man sich ihr nähert. Bald hatte er den Duft von Moos, Harz und Humus vollständig verdrängt.
    Gil ließ sich immer mehr zurückfallen und blieb schließlich in ein paar Metern Entfernung stehen. Ihm genügte offenbar der Gestank, er mußte nicht noch einmal einen Blick auf dessen Ursprung werfen. Sein Kollege hingegen ging noch ein paar Schritte weiter und deutete dann wortlos auf einen Laubhaufen, um den die Fliegen brummten und kreisten wie Akademiker um ein kaltes Büffet.
    Als ich die Fliegen sah, krampfte sich mein Magen zusammen, und meine innere Stimme sagte: »Siehst du, ich habe es dir doch gleich gesagt.«
    Voller böser Vorahnungen lehnte ich meinen Rucksack an einen Baumstamm und nahm ein paar Latex-Handschuhe heraus. Dann tastete ich mich vorsichtig durch das dichte Geäst auf den Haufen zu. Beim Näherkommen entdeckte ich die Stelle, an der die beiden Arbeiter mit ihren Rechen das Laub weggeschoben hatten. Was ich dort sah, bestätigte meine schlimmsten Befürchtungen.
    Aus dem Laub ragte ein Brustkorb, dessen Rippen mich an die Spanten eines kleinen, gestrandeten Bootes erinnerten. Als ich vor dem Haufen in die Hocke ging, erhob sich laut brummend ein Fliegenschwarm. Die fetten Leiber glänzten grünlich im Sonnenlicht. Mit einem Stöckchen entfernte ich Laub und Erde, bis ich sah, daß die Rippen noch von einem Stück Wirbelsäule zusammengehalten wurden. Dann holte ich tief Luft, zog die Handschuhe an und machte mich daran, die Knochen von Blättern und Kiefernnadeln zu befreien. Vom Sonnenlicht erschreckt, ergriffen ganze Scharen von Käfern und Asseln die Flucht und verkrochen sich in die Lücken zwischen den einzelnen Wirbeln.
    Es dauerte etwa zehn Minuten, bis ich den Laubhaufen abgetragen und die von Gil und von seinem Kollegen gefundenen Knochen vollständig freigelegt hatte. Nach getaner Arbeit strich ich mir mit meinen latexumhüllten Fingern eine Haarsträhne aus dem Gesicht und hockte mich auf meine Fersen, um das Ergebnis zu begutachten.
    Auf etwa einem Quadratmeter Fläche lag der teilweise skelettierte Oberkörper einer menschlichen Leiche, deren Brustkorb, Wirbelsäule und Becken noch immer von vertrockneten Muskeln und Bändern zusammengehalten wurden. Während das Gehirn und innere Organe oft innerhalb weniger Wochen von Bakterien und Insekten aufgefressen werden, setzt das Bindegewebe den Verrottungsprozessen sehr viel mehr Widerstand entgegen. So dauert es Monate und manchmal sogar Jahre, bis es vollständig verwest ist.
    Auch an diesem Torso konnte ich bei näherem Hinsehen an den Brust- und Unterleibsknochen bräunliche Reste eingetrockneten Gewebes entdecken. Während ich so dahockte, die Schmeißfliegen brummen hörte und nachdenklich das Schattenspiel der Blätter auf dem sonnenbeschienenen Waldboden betrachtete, machte ich mir zwei Dinge klar: Erstens konnte es sich bei diesen Knochen nicht um die Überreste eines Tieres handeln und zweitens lagen sie noch nicht allzu lange hier in diesem Gehölz.
    Und noch etwas wußte ich genau: Der Mensch, dem dieser Brustkorb und dieses Becken einmal gehört hatten, war ermordet und zerstückelt worden. Dann hatte jemand den Torso in einen ganz normalen, haushaltsüblichen Müllsack gesteckt und hierher gebracht. Der Sack, der von den Arbeitern aufgerissen worden war, lag immer noch unter dem Leichenteil, an dem Kopf und Gliedmaßen ebenso fehlten wie

Weitere Kostenlose Bücher