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Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan

Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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irgendwelche alten Knochen frei. Wenn es menschliche Knochen sind, interessiert sich dafür zunächst der Leichenbeschauer, der eine Art Oberaufseher über den Tod in der Provinz Quebec darstellt. Wenn jemand nicht in seinem Bett oder unter der Aufsicht eines Arztes stirbt, will der Leichenbeschauer wissen warum. Er interessiert sich für alle, die gewaltsam oder unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen sind oder deren ansteckende Krankheit eine Gefahr für andere darstellen könnte. Knochen aus historischen Friedhöfen hingegen gehen ihn selbst dann nichts an, wenn die Toten dort einem ungesühnten Verbrechen oder einer schrecklichen Seuche zum Opfer gefallen sind. Dafür ist ihr Ableben zu lange her. Ist das Alter solcher Knochen erst einmal zweifelsfrei bestimmt, dürfen sich die Archäologen darum kümmern. Ich hoffte inständig, daß das auch bei den Gebeinen der Fall sein würde, zu denen ich jetzt unterwegs war.
    Ich quälte mich durch den zähfließenden Verkehr in der Innenstadt und erreichte fünfzehn Minuten später die Adresse, die auf LaManches Zettel stand. Es war das Grand Seminaire, ein Überbleibsel des riesigen Grundbesitzes der katholischen Kirche. Das alte Priesterseminar befindet sich auf einem großen Grundstück in der Innenstadt, ganz in der Nähe des Viertels, in dem ich wohne. Es ist eine kleine grüne Insel in einem Meer aus Wolkenkratzern und gleichzeitig ein stummer Zeuge dafür, wie mächtig die Kirche einst in dieser Stadt war. Graue Steinmauern mit Wachtürmen umgeben düstere, burgartige Gebäude, zwischen denen sich sorgsam gepflegte Rasenstücke und verwilderte Freiflächen erstrecken.
    Als die Kirche auf dem Höhepunkt ihrer Macht stand, wurden hier Tausende junger Männer zu Priestern ausgebildet. Ein paar Seminaristen gibt es hier auch heute noch, aber es sind längst nicht mehr so viele wie damals. Die größeren Gebäude sind jetzt vermietet und beherbergen Behörden und städtische Schulen, in denen mehr im Internet gesurft als das Wort Gottes studiert wird. Vielleicht ist das ja eine gute Metapher für den Zustand unserer modernen Gesellschaft, dachte ich. Wir sind alle viel zu sehr damit beschäftigt, mit aller Welt zu kommunizieren, um uns um einen allmächtigen Schöpfer zu kümmern.
    Ich hielt in einer kleinen Straße gegenüber dem alten Priesterseminar und blickte die Rue Sherbrooke entlang nach Osten, wo sich der jetzt an das Collège de Montréal vermietete Teil des Seminargeländes befindet. Als dort nichts Ungewöhnliches zu erkennen war, hängte ich den linken Ellenbogen aus dem Wagenfenster und drehte mich nach hinten. Das staubige Metall der Wagentür war so heiß, daß ich mir fast den Arm verbrannt hätte. Wie eine mit einem Stock drangsalierte Krabbe zog ich den Ellenbogen blitzartig zurück ins Innere des Wagens.
    Als ich schließlich aus dem Rückfenster blickte, entdeckte ich einen blau-weißen Streifenwagen mit der Aufschrift Police – Comunauté Urbaine de Montréal, der irgendwie nicht so recht zu dem alten, steinernen Turm dahinter passen wollte. Davor stand ein grauer Lastwagen der Hydro-Quebec, von dem Leitern und anderes Gerät abstanden wie die Antennen einer Raumstation. Neben dem Laster stand ein uniformierter Polizist, der mit zwei Männern in Arbeitskleidung sprach.
    Ich fuhr wieder los, bog nach links ab und fädelte mich in den nach Westen strömenden Verkehr auf der Rue Sherbrooke ein. Während ich einmal um das Seminargelände herumfuhr, hielt ich Ausschau nach Presseleuten, konnte aber zum Glück keine entdecken. Begegnungen mit der Presse sind in Montreal noch anstrengender als in anderen Städten, denn hier gibt es sowohl französische als auch englische Sender und Zeitungen. Ich hasse es ohnehin, mit Fragen bedrängt zu werden, wenn ich sie dann aber auch noch in zwei Sprachen beantworten muß, platzt mir ziemlich rasch der Kragen.
    LaManche hatte recht gehabt. Ich war im vergangenen Sommer schon einmal hier gewesen, als man bei der Reparatur einer defekten Wasserleitung auf Knochen gestoßen war. Ich weiß noch, was ich damals in meinen Bericht schrieb. Kirchengrundstück. Alter Friedhof. Sargreste. Archäologen verständigt. Hoffentlich würde ich bald ähnliches notieren können.
    Als ich meinen Mazda vor dem Lastwagen abstellte, hörten die drei Männer zu reden auf und blickten in meine Richtung. Dann stieg ich aus, und der Polizist, der mich einen Augenblick lang nachdenklich angesehen hatte, kam auf mich zu. Sein Gesicht

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