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Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan

Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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Grinsen für die Ewigkeit aufgeworfenen Lippen bleckten eine Reihe makelloser Zähne. Die teigig-weiße Gesichtshaut, die sich wie ein nasses Leintuch den Konturen der Schädelknochen anpaßte, wurde umrahmt von vollem, mattrotem Haar, dessen glanzlose Korkenzieherlocken mit aus dem Schädel gesickerter, flüssig gewordener Gehirnmasse durchtränkt waren.
    Erschüttert schloß ich den Sack und erinnerte mich auf einmal wieder daran, daß ich nicht allein in dem Gehölz war. Als ich mich nach den Arbeitern umdrehte, blickte mich der Mann mit dem Pferdeschwanz interessiert an. Sein Kollege wartete in einiger Entfernung. Er hatte die Schultern eingezogen und seine Hände tief in die Taschen seiner Latzhose gesteckt.
    Ich zog die Latexhandschuhe aus und ging wortlos an den beiden vorbei. Auch sie sagten nichts, aber am Rascheln des Laubs hinter mir konnte ich hören, daß sie mir folgten. Ich verließ das Wäldchen und steuerte auf den Streifenwagen zu, der noch immer draußen auf der Straße stand.
    Constable Groulx lehnte an der Kühlerhaube und rührte sich nicht, obwohl er genau sah, daß ich auf ihn zukam. Ich hatte es schon mit freundlicheren Beamten zu tun gehabt.
    »Dürfte ich bitte mal Ihr Funkgerät benützen?« fragte ich in ziemlich kühlem Ton.
    Groulx drückte sich mit beiden Händen in eine aufrechte Position und ging um den Wagen herum zur Fahrerseite. Er griff durch das geöffnete Fenster, nahm das Mikro aus seiner Halterung und sah mich fragend an.
    »Die Mordkommission«, sagte ich.
    Er warf mir einen überraschten Blick zu, den er aber gleich wieder zu bedauern schien. »Section des homicides«, sagte er mit ungerührter Miene ins Mikrophon. Es dauerte eine Weile, dann war durch das Rauschen des Funkgeräts die gereizte Stimme eines Beamten zu hören.
    »Claudel hier. Was ist denn los?«
    Constable Groulx gab mir das Mikro. Ich sagte, wer und wo ich war. »Ich habe ein Mordopfer entdeckt«, fuhr ich fort. »Dem ersten Anschein nach weiblich. Wahrscheinlich enthauptet. Vermutlich wurde sie woanders umgebracht. Sie sollten so schnell wie möglich die Spurensicherung vorbeischicken.«
    Eine ganze Weile kam keine Antwort. Meine Nachricht, so schien es, wurde nicht gerade begeistert aufgenommen.
    »Pardon?«
    Ich wiederholte das Gesagte und bat Claudel, bei meinem Institut anzurufen und Pierre LaManche zu verständigen. Diesmal war es kein Fall für die Archäologen.
    Ich gab Groulx, der alles mit angehört hatte, das Mikrophon zurück und fragte ihn, ob er schon die Aussagen der beiden Arbeiter aufgenommen habe. Als ihm dämmerte, daß sein Feierabend damit in noch weitere Ferne gerückt war, machte er ein Gesicht, als wäre er soeben zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Mein Mitlied mit ihm hielt sich in Grenzen, denn auch mit meinem Wochenende in Quebec City war es jetzt vorbei. Als ich später zu meiner nur ein paar Blocks entfernten Wohnung fuhr, hatte ich eine unbestimmte Ahnung, daß dieser Fall mir und anderen noch viele schlaflose Nächte bereiten würde. Wie sich bald herausstellen sollte, waren diese Befürchtungen nur allzu berechtigt. Was ich damals allerdings noch nicht ahnen konnte, war das Ausmaß des Grauens, das uns erwartete.

2
    Der nächste Tag begann wieder warm und sonnig. Normalerweise hätte mich dieser Umstand in eine gute Laune versetzt. Ich bin eine Frau, deren Stimmung stark vom Wetter abhängt und sich mit dem Barometer hebt und senkt. An diesem Tag aber war mir das Wetter egal. Um neun Uhr früh war ich im Autopsieraum Nummer vier, dem kleinsten, den es im Laboratoire de Médecine Légale gibt. Dieser Arbeitsraum ist mit einer speziellen Entlüftungsanlage ausgestattet, und weil ich häufig an Leichen arbeite, die sich in einem nicht allzu guten Erhaltungszustand befinden, habe ich hier öfter zu tun. Natürlich ist diese Entlüftungsanlage nicht hundertprozentig effektiv. Auch die besten Ventilatoren und Desinfektionsmittel der Welt kommen nicht gegen den Gestank verwesender Leichen an, ebensowenig wie der antiseptische Glanz des Edelstahls gegen die Bilder gequälten Fleisches auf dem Autopsietisch.
    Die Überreste aus dem Grand Seminaire waren ganz eindeutig ein Fall für Raum Nummer vier. Am vergangenen Abend war ich nach einem raschen Abendessen noch einmal an den Fundort zurückgekehrt und hatte den Leuten von der Spurensicherung beim Bergen der Leichenteile geholfen, die jetzt in einem Leichensack auf der Rollbahre rechts neben mir lagen. Bei der

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