Tote Pracht
alle in der Kiste und wandte mich den Videokassetten zu.
Davon gab es Hunderte, die hinter dem
Fernseher an der Wand aufgestapelt waren: Bogart, Tracy und Hepburn, Barbara
Stanwyck, William Powell, Cary Grant; eine vollständige Serie der
Charlie-Chang-und-Mr.Moto- und der Topper-Filme; Western, Komödien, Dramen.
Keiner dieser Filme war später als Mitte der fünfziger Jahre entstanden. Es
war, als ob Hilderly versucht hatte, die sechziger, siebziger und achtziger
Jahre bewußt zu ignorieren.
Nachdem ich die Kassetten eingepackt
hatte, sah ich mich nach dem »anderen Kram«, den Hank erwähnt hatte, um. Viel
war es nicht. Ein Kinobild zu einem Bogart-Film mit dem Titel Agenten der
Nacht — fleckig und mit einem Sprung im Glasrahmen. Eine mit Schnitzereien
verzierte Holzschachtel, wie man sie bei Cost Plus findet, die zwei Packen
abgegriffener Spielkarten enthielt. Ein Satz Untersetzer. Ein versilbertes
Tischfeuerzeug, das nicht mehr funktionierte. Eine Messingschale, auch in
Cost-Plus-Qualität, in der sich lediglich eine Papierklammer und etwas Staub
befanden. Die kleineren Sachen legte ich in einen Karton, den ich zusammen mit
dem Poster auf dem zerschlissenen Lehnstuhl gegenüber dem Fernseher liegenließ.
Dann zog ich die Stecker vom Fernseher und vom Videorecorder heraus und schob
die Apparate zu dem häßlichen karierten Sofa hinüber. Das alles hatte etwas
schrecklich Endgültiges.
Ich fand Hank im Schlafzimmer. Er
faltete die Kleidungsstücke, die auf dem Bett lagen, ordentlich zusammen und
stopfte sie in eine große Mülltüte, wo sie sich sofort wieder zu einem
kunterbunten Durcheinander ›entfalteten‹. Nach einem Blick in sein vergrämtes
Gesicht sagte ich: »Laß mich das machen. Fang du schon mal in der Küche an.«
Er nickte, anscheinend erleichtert, und
legte den Pullover, den er in der Hand hielt, vorsichtig zurück.
Ich hatte mich noch nie um die Sachen
eines toten Freundes kümmern müssen, aber ich nahm an, daß das Wegräumen der
Kleidung am schlimmsten war. Obwohl ich Hilderly nicht persönlich gekannt
hatte, ertappte ich mich dabei, wie auch ich jedes Stück glättete und faltete,
bevor ich es in die Tüte legte; irgendwie wäre es mir wie eine Verletzung der
Würde des Toten vorgekommen, wenn ich seine Kleidungsstücke wie Lumpen
behandelt hätte.
Während ich arbeitete, hörte ich Hank
in der Küche mit Geschirr klappern, aber nach einer Weile blieben die Geräusche
aus, und ich fürchtete, daß er wieder den Mut verloren habe. Ich räumte noch
den Rest der Kleidung weg, zog das Bett ab und vergewisserte mich, daß der
Schreibtisch und das Nachtkästchen leer waren. Dann ging ich in die Küche.
Hank saß am Tisch. Vor ihm lag ein Stoß
Papiere. In seinem Gesicht las ich Entsetzen und Verwirrung.
»Was ist los?« fragte ich.
»Die waren in einer Plastiktüte im
Gefrierfach.« Er deutete auf die Papiere. »Perry hatte mir gesagt, daß ich dort
nach seinen wichtigen Dokumenten schauen sollte — das sei ein guter
feuersicherer Ort und billiger als ein Tresorfach.«
Ich schaute mir die Sachen, die vor ihm
lagen, genauer an: ein Fahrzeugschein, ein paar Sparbücher und einige andere
Papiere. »Also was ist?«
»Dies«, sagte er und deutete auf ein
hellblaues Deckblatt, »ist eine Kopie des Testaments, das ich vor vier Jahren
für ihn aufgesetzt habe. Ich hatte das Original im Tresor in der Kanzlei, und
ich habe es bereits zur Bestätigung vorgelegt. Aber dies« — er hielt ein Blatt
hoch, das mit einer verkrampften Handschrift bedeckt war — »ist ein zweites
Testament, das das erste aufhebt.«
»Ist es rechtsgültig?«
»Ja. Es ist eigenhändig erstellt und
erfüllt alle formalen Anforderungen. Es ist vor drei Wochen datiert.«
»Und?«
»Es unterscheidet sich vollkommen vom
ersten. Seine Kinder werden ohne ein Wort der Erklärung überhaupt nicht mehr
berücksichtigt. Er vererbt sein Geld zu gleichen Teilen an vier Leute — und ich
habe nicht die geringste Ahnung, wer sie sind und was sie ihm bedeuteten.«
2
Hank reichte mir das Papier, und ich
überflog es. Der juristischen Terminologie entnahm ich, daß Hilderly es von dem
ursprünglichen Testament abgeschrieben und nur die Namen im Abschnitt ›Einzelvermächtnisse‹
geändert hatte. Die Bedingungen für den Testamentsvollstrecker und die
Verwendung der persönlichen Gebrauchsgegenstände waren unverändert übernommen
worden. Aber statt zwischen Hilderlys Söhnen sollte ›das gesamte Bargeld,
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