Totem des Boesen
mit ihren Lippen seinen Mund. Der junge Mann erwiderte ihre Geste der plötzlichen Zuneigung, als hätte er nur darauf gewartet. Er strich ihr mit seinen Händen sanft durchs Haar, über ihren Rücken. Seine Zunge berührte ihre Wange, dann den Hals.
Rebecca gab sich ihren Gefühlen hin, obwohl sie wußte, was das bedeutete. Sie konnte die Kraft in ihrem Inneren nicht mehr unter Kontrolle bringen, und bald würde es wieder geschehen .
Abraham nahm den Geschmack ihrer Haut auf, roch den Duft ihres jungen, frischen und reinen Blutes. Jetzt war der Moment gekommen. Sie würde seinen Durst stillen, und später wurde er sie in Stücke reißen, so wie er es immer mit den einfältigen Mädchen tat, die nicht stark genug waren, sich seiner Macht zu widersetzen.
Er küßte ihren Hals, wiegte sie in Sicherheit und machte sich bereit, den roten, lebensspendenden Saft in sich aufzunehmen. Sein Mund verzog sich zu einem absurden Grinsen, entblößte gewaltige Fangzähne. Dann biß er zu.
Anstatt jedoch in die weiche und warme Haut des zarten Geschöpfes einzudringen, stießen seine Hauer . auf dichten Pelz!
Abraham wich hastig einige Schritte zurück. Vor ihm war nicht länger die kleine, liebliche Prinzessin, sondern ein riesiger, aufrecht stehender Wolf! Das Biest hatte scharfe Krallen und fletschte die spitzen Zähne. Sein Fell war weiß, auf dem Kopf jedoch grün, blau und gelb gefärbt. Es sah beinahe komisch aus, doch das vor Geifer triefende Maul erstickte jede Heiterkeit im Ansatz.
Abraham wußte aus den Legenden, daß Vampire einem Wolfsmenschen nicht gewachsen waren. Er konzentrierte sich, wollte sich verwandeln, um zumindest einen ebenbürtigen Gegner abzugeben, aber das Ungetüm ließ ihm keine Zeit. Mit einem markerschütternden Brüllen, das sowohl tierisch als auch menschlich klang, stürzte es sich auf den Vampir.
Menschen auf der Straße hörten das qualvolle Schreien eines Mannes und das Knurren eines wilden Tieres tief unten in der U-Bahn. Die Polizei wurde alarmiert. Als die Beamten eintrafen, fanden sie nichts als eine halb verzehrte große Fledermaus auf dem leeren Bahnsteig und einen Säufer, der mit panisch aufgerissenen Augen vor sich hinstarrte.
»Ein Wolf! Da war ein ... ein riesiger Wolf!« brabbelte er, offenbar im Delirium. »Er ... er ist in den Tunnel gerannt!« Der Alte wollte sich gar nicht mehr beruhigen. »Es war ein Wolf! Ein riesiger Wolf!«
Die Beamten wechselten vielsagende Blicke. Doch dann versteinerten ihre Mienen. Und sie mußten erkennen, daß der Betrunkene keineswegs phantasiert hatte. Als nämlich die nächste U-Bahn in rasendem Tempo aus der Dunkelheit des Tunnels in die Station einfuhr und mit kreischenden Bremsen zum Stehen kam.
Das blutige Etwas auf der Frontseite der Bahn war kaum mehr zu erkennen. Aber es war groß und haarig, und zwischen den Überresten ragten scharfe Zähne und lange Krallen hervor.
Ja, es mochte tatsächlich ein Wolf gewesen sein. Vermutlich aus einem Zoo entkommen. Aber mit dem würde sich kein Scharfschütze mehr befassen müssen. Nur noch die Reinigungsmannschaft der Fahrbetriebe .
© 1997 Sven Später, Kuseler Str. 19, 66871 Pfeffelbach
Glossar
Hidden Moon (Wyando) - Eines von Makootemanes (>) Vampirkindern und sein Schüler. Sein Name rührt daher, daß während seiner Kelchtaufe eine Mondfinsternis herrschte - was ihn vor Nonas Zorn bewahrte, denn die Werwölfin holte den fliehenden Wyando damals in Landrus Auftrag zurück und hätte ihn getötet, wenn ihre Kräfte durch die Eclipse nicht geschwunden wären. Jahrhunderte später suchte Nona die Indianer erneut auf, um Hilfe bei der Jagd nach Lilith Eden zu erbitten. Hid-den Moon begleitete sie, ohne daß Nona ihn erkannte, und offenbarte sich ihr erst, als sie Lilith fanden und Nona die Halbvampirin töten wollte. So rettete er Liliths Leben. Hidden Moon ist ein hochgewachsener, stolzer Krieger, der - wie alle Mitglieder des Stammes - Federflaum am Nacken trägt und sich in einen Adler statt in eine Fledermaus verwandeln kann.
Makootemane - Das durch den Kampf mit dem Purpurdrachen (>) greise Oberhaupt der Arapaho - eines Indianerstamms, dessen Kinder vor 309 Jahren von Landru zu Vampiren gemacht wurden. Die Erwachsenen des Stammes spalteten sich ab und erbauten in der Nähe ein neues Dorf. Von ihnen ernähren sich die Vampir-Indianer, ohne mit ihrem Biß zu töten und sie zu Dienerkreaturen zu machen. Die Arapaho (auch Hitanivo'iv, Wolkenmänner genannt) sind nicht böse, denn
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