Totenbeschwörung
Teil von ihm«, unterbrach Chung das aufgeregte Raunen, das durch den Saal lief. »Etwas, das in engster Verbindung zu ihm steht. Wir wissen, dass Harry, nun ja, eine Veränderung durchlaufen hat. Aber er müsste ein völlig anderer geworden sein, um durch dieses Tor zurückzukehren. Graue Löcher sind Einbahnstraßen. Ist man erst mal durch, dann war’s das! Es gibt keinen Weg zurück, außer vielleicht durch das andere Tor an jenem unterirdischen Fluss, der irgendwann wieder an die Oberfläche tritt, um in die Donau zu münden. Aber das Wesen, von dem wir sprechen, ist in Perchorsk herausgekommen. Außerdem ist Harry Keogh ja tot! Wir alle haben gesehen, wie er gestorben ist, damals, vor sechzehn Jahren! Oder war er etwa nur untot? Nein, denn das war er ja schon, ehe er das Tor passierte. Mein Talent sagt mir zwar, es handelt sich um Harry. Die Logik dagegen sagt mir, dass das gar nicht geht. Das heißt also, dass es etwas sein muss, was ihm ähnlich ist, ein Teil von ihm!«
Trask griff den Faden auf: »In ein, zwei Minuten werde ich ein Gespräch mit Turkur Tzonov führen, dem Spitzenmann der Gegenseite. Wir wissen, über welches Talent er verfügt: Von Angesicht zu Angesicht kann er Gedanken lesen – und zwar äußerst genau! Er wird wohl über den Bildschirm mit mir sprechen wollen, damit ich ihm nichts als die Wahrheit sagen kann. Das gleicht die Dinge wieder aus, denn Turkur kennt auch mein Talent und weiß, dass er ebenfalls keine Chance hat, mir gegenüber die Unwahrheit zu sagen! Deshalb waren die Handvoll Gespräche, die wir in der Vergangenheit geführt haben, wohl auch immer so ein zögerndes Abtasten und insgesamt eine schwerfällige und ziemlich unangenehme Angelegenheit. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird es jetzt wieder so laufen. Im Augenblick sieht es allerdings danach aus, als wolle die Gegenseite uns um unsere Hilfe bitten. Zuvor möchte ich jedoch hören, was ihr davon haltet. Ich will wissen, womit wir es zu tun haben werden, wenn wir ihnen unseren Beistand anbieten. In letzter Zeit hat bei uns nicht allzu viel angelegen, jedenfalls nichts Besonderes. Nun, mit Ausnahme von ein paar Albträumen. Vielleicht sind wir ja alle ein ganz kleines bisschen eingerostet, was die wirklich wichtigen Sachen angeht. Das wäre also die ideale Gelegenheit für uns, unsere diversen Talente wieder in die Gänge zu kriegen!«
Er sah in ihre Gesichter, die alle wiederum ihn anblickten:
Millicent Cleary, die den Anruf aus Moskau entgegengenommen hatte. Von allen Agenten des E-Dezernats fühlte Trask sich ihr wohl am ehesten verbunden. Er verstand sie und fühlte mit ihr. Die Telepathie war das Talent, das sie auszeichnete, und zugleich auch ihr Fluch. Sie war unverheiratet wie die meisten ESPer. Aber wie dem auch sei, sie waren ja bereits verheiratet mit dem Dezernat. Ihr Beruf war jedenfalls ein Grund, warum sie immer noch Single war. Der andere bestand darin, dass sie Gedanken lesen konnte.
Denn in dem Maße, in dem sich Millies telepathische Fähigkeiten parallel zu ihrem Körper entwickelt hatten, waren alle Träume von einer jungen Liebe, Hochzeit und Kindern verflogen. Wie auch anders, wenn man Telepathin war und um jeden noch so geheimen Gedanken des geliebten Menschen wusste! Selbst um die schlechten, die wir ja alle von Zeit zu Zeit haben. Und wenn sie Kinder bekommen würde, sollte sie ihnen ihr »Talent« auch noch weitervererben?
Auf keinen Fall, denn genau wie Trask hatte auch Millie die Erfahrung gemacht, dass es für jedes im Grunde genommen lautere Bewusstsein da draußen auch die mit einem Makel Behafteten gab, und viel zu viele davon waren durch und durch verdorben. Sie hatte feststellen müssen, dass es in den Grenzbereichen des menschlichen Spektrums Hirne gab, die sich vor Hass selbst verzehrten und anderen das Leben zur Hölle machten. Sie wusste, was da draußen los war, schließlich war es ihr Job, in solchen Hirnen zu lesen. Mitunter sogar in den schlimmsten.
Obwohl sie eine Frau von mittlerweile achtunddreißig Jahren war, sah Trask immer noch so etwas wie eine kleine Schwester in ihr. Sie hatte etwas so Unbefangenes an sich, dass er stets das Bedürfnis hatte, sie zu beschützen, eine Schüchternheit und viel zu selten anzutreffende Arglosigkeit, die es ihr gestatteten, mit ihren grünen Augen zu funkeln, ihre hübsche Nase kraus zu ziehen, den kupferroten Haarschopf in den Nacken zu werfen und gleichzeitig furchtbar wütend zu werden, wenn es sein musste. Manchmal musste es sein
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