Totenbeschwörung
linke Hand. Vorerst verzichtete er jedoch darauf, sie sich anzusehen ...
Noch war die Erinnerung an seinen Albtraum zu lebendig – wenn es denn einer war! Viel eher handelte es sich um eine Szene aus seiner jüngsten Vergangenheit, um ein grauenhaftes Detail jener Nacht, die er auf der Sonnseite verbracht hatte, im Lager ... im Lager der Aussätzigen:
Die graue Kapuzengestalt neben seinem Bett, die ihn darüber aufklärte, wo er sich befand. Nestor war kerzengerade hochgefahren und hatte sein Gegenüber an den Armen gepackt – leeren Ärmeln, die lose am Gewand herabhingen und Nestors Gewicht nicht zu tragen vermochten! Sie waren an der Schulternaht abgerissen und Nestor hatte sie mit einem Mal in der Hand gehalten, während er zurück auf sein Bett sank. Er hatte gesehen, dass die Arme des Aussätzigen an den Ellenbogen in pilzbleichen Stummeln endeten!
Nathan betrachtete seinen linken Arm und die linke Hand, die ersten grauen Flecken auf seinem Fleisch, das noch nicht zur Gänze die bleigraue Hautfarbe eines Lords der Wamphyri angenommen hatte. Die Taubheit kam und ging und ließ seine Hand vom Gelenk abwärts wie tot erscheinen. Zumindest war kein Gefühl mehr in ihr.
Einer Eingebung des Augenblicks gehorchend, biss er sich in den Daumenballen, bis dunkelrot das Blut floss. Aber es schien ihm zäher und langsamer zu fließen als sonst. Außerdem spürte er nicht den geringsten Schmerz.
Ehe er es sich versah, tauchte vor seinem inneren Auge auch der Rest des Albtraums auf, diesmal allerdings kein Bruchstück aus der Vergangenheit, vielmehr hielt er es für ... einen flüchtigen Blick in die Zukunft:
Eine einsame Gestalt schlurfte mit hängenden Schultern heran. Ihre Arme hingen leblos herab; das Kinn auf die Brust gesenkt, wiegte sie den Kopf hin und her. Ihre Fußabdrücke waren im sich immer mehr ansammelnden Staub deutlich zu sehen, die trostlose Spur eines einsamen Wanderers, der wie eine verlorene Seele durch die leeren Hallen der verlassenen Saugspitze irrte. Jeder Schritt hallte von den Wänden wider. Alle waren sie geflohen, bis auf ihn. Nur das Pfeifen der Fledermäuse leistete ihm in der Düsternis der verwahrlosten Stätte Gesellschaft.
Ein verschimmelnder Vorhang war nicht ganz zugezogen. Im fahlen Licht der Sterne, das durch den Spalt fiel, blieb die Gestalt stehen. Beinahe so, als spüre sie, dass sie beobachtet wurde, wandte sie sich um.
Nathan sah das entstellte Gesicht, die wässrigen, halb blinden Augen, die von Pusteln übersäte, pergamentene Haut, die sich von den zerstörten Knochen schälte, die spröden, zerfressenen Lippen, die die schwarzen Zähne im geschrumpften Zahnfleisch entblößten. Er blickte in das Gesicht und erkannte es. Was auch sonst?
Denn das Gesicht, das er sah, war seines ...
Impressum
Originaltitel: Vampireworld 2: The Last Aerie
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© 1993 by Brian Lumley
© dieser Ausgabe 2012 by Festa Verlag, Leipzig
Literarische Agentur: Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen
Alle Rechte vorbehalten
eISBN 978-3-86552-119-4
www.Festa-Verlag.de
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