Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenblüte

Totenblüte

Titel: Totenblüte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
Vom Netzwerk:
von der Sozialversicherung   … als Tagesmutter gemeldet war ich ja nie.»
    «Sie haben Freunden ausgeholfen.» Vera fragte sich, weshalb Mary bloß so nervös war. Sie hatte vor über zehn Jahren gegen ein paar Regeln verstoßen, hatte deshalb aber offenbar immer noch ein schlechtes Gewissen. «Da kräht doch heute kein Hahn mehr nach.»
    Das schien Mary tatsächlich zu erleichtern, und sie konzentrierte sich ganz auf ihre Rolle als Gastgeberin. Den Tee servierte sie in zierlichen Tässchen mit Untertassen und dazu passenden Tellern. Vera entfernte das Papier von den klebrigen Tortenstücken, reichte Mary eines und leckte sich dann die Finger ab.
    «Kannten Sie denn diesen Freund von Thomas, Luke Armstrong?» Es war eher unwahrscheinlich, aber in jedem Fall die Frage wert.
    «Am Ende habe ich Tom praktisch gar nicht mehr gesehen. Oder zumindest nicht mehr mit ihm gesprochen. Er hat mir immer zugewunken, wenn er zum Bus ging und in die Stadt fuhr, das war alles. Man kann das ja auch verstehen. Was sollte er mit einer alten Frau wie mir schon anfangen?»
    «Dann hat Clive ihn auch ganz gut gekannt?»
    «Er war sehr lieb mit Thomas, als der noch klein war.Manchmal hat er ihn sogar gewickelt. Das denkt man kaum bei einem Jungen, nicht? Und später hat er ihn dann im Kinderwagen spazieren geschoben.»
    Für Vera hörte sich das nicht so an, als hätte Mary den kleinen Sharp nur hin und wieder mal gehütet. Doch sie schwieg und biss stattdessen in ihr Tortenstück. Der Zuckerguss war so süß, dass sie förmlich spürte, wie die Karies ihre Zähne aushöhlte, und zwischen den harten, schwerverdaulichen Teigschichten quoll Vanillecreme hervor. Sie tunkte die Creme mit dem kleinen Finger auf und leckte ihn ab.
    Mary sah ihr fast zärtlich dabei zu. «Mein Clive isst ja auch so gern», sagte sie. «Aber er nimmt dabei kein Gramm zu. Wahrscheinlich verbrennt er einfach alles.»
    «Dann war er wohl ein eher nervöses Kind?», fragte Vera.
    «Das war sicher meine Schuld. Es gab ja nur noch ihn und mich, und ich war noch nie gern allein. Gut möglich, dass ich ihn ein wenig eingeengt habe. Ich hätte es einfach nicht ertragen, wenn ihm etwas zugestoßen wäre.» Sie schwieg einen Moment, dann lächelte sie zufrieden. «Aber er ist ein guter Junge. Ich hatte vor einiger Zeit einen Schlaganfall. Nicht weiter schlimm, aber mancher Sohn hätte sicher die Gelegenheit genutzt, die alte Mutter ins Heim zu stecken. Clive ist da anders. Er hat sich bei der Arbeit freigenommen, mich nach Hause geholt und mich hier gepflegt.»
    «Dann stehen Sie sich also nahe?»
    «Ja, sehr nahe sogar.»
    «Das heißt, Sie würden wissen, wenn ihn etwas bedrückt?»
    «Na, das ist ja wieder etwas ganz anderes, nicht? Mein Clive trägt das Herz nicht gerade auf der Zunge. Ich könntenicht behaupten, dass ich weiß, was in seinem Kopf vorgeht.»
    «Gab es in letzter Zeit eine Frau in seinem Leben?»
    «Aber nein!» Das schien sie völlig abwegig zu finden. «Wir sind doch ganz glücklich hier, zu zweit.» Dann setzte sie der Form halber hinzu: «Nicht, dass mich das stören würde. Ich fände es sogar sehr schön, wenn er irgendwann eine gute Frau fände, mit der er eine Familie gründen kann. Ich hätte so gern ein Enkelkind.»
    «War Clive jemals in Behandlung wegen seiner Nerven?»
    «Was wollen Sie damit sagen?» Mary wurde sofort wieder misstrauisch. Sie verzehrte ihr Kuchenstück mit kleinen, zierlichen Bissen, knabberte daran wie eine Maus. Jetzt sah sie Vera stirnrunzelnd über den Zuckerguss hinweg an.
    «Ich frage ja nur, Herzchen. Das ist doch heute gang und gäbe.»
    «Depressiv ist er nicht, falls Sie das meinen. Wir haben ein gutes Leben zusammen, er und ich. Da brauchen wir niemanden, der seine Nase in unsere Angelegenheiten steckt.»
    Vera ließ das auf sich beruhen, dachte sich aber, dass die Beteuerungen doch etwas übertrieben wirkten.
    «Und es stört Sie nicht, wenn er unterwegs ist?», fragte sie.
    «Das kommt ja inzwischen kaum noch vor. Eine Zeit lang war er fast jedes Wochenende weg, oben an der Küste mit seinen Busenfreunden. Ich habe mich natürlich nie beklagt. Er muss schließlich sein eigenes Leben haben. Aber seit meinem Schlaganfall nimmt er doch etwas mehr Rücksicht. Ich habe ihm auch gesagt: ‹Wie würdest du dich denn fühlen, wenn so was nochmal passiert und du mich hier allein gelassen hast?›»
    Vera kam zu dem Schluss, dass Mary im Grunde eine böse alte Hexe war. Sie hätte es durchaus verstanden, wenn

Weitere Kostenlose Bücher