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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
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Commissaris. »Soll ich Ihnen ein Glas Wasser holen? Oder möchten Sie allein sein?«
    »Nein, nein … bitte, gehen Sie nicht!« Ihre Stimme klang jetzt wie ein ersticktes Schluchzen, während ihr Gesicht noch immer nicht die geringste Regung zeigte. »Ich glaube – ich hätte jetzt sehr gern eine Zigarette.« Sie nickte wieder und ging wie in Trance zu einem der beiden mit Büchern, Zeitungen, Heften, Aktenmappen und Bleistiften bedeckten Schreibtische, den sie mit blind tastenden Fingern nach Zigaretten und einem Feuerzeug absuchte. Als sie beides gefunden hatte, versuchte sie, sich eine Zigarette anzuzünden, aber ihre Hand zitterte zu sehr. Sie legte die Zigarette und das Feuerzeug wieder hin; sie schien vergessen zu haben, wozu beides diente. Kurz schloss sie die Augen. Als sie die Lider wieder öffnete, schimmerten die Wimpern feucht, aber die Augen selbst waren wieder trocken. »War es ein Unfall?«, fragte sie.
    »Für ein Verbrechen gibt es bis jetzt keinen Anhaltspunkt«, antwortete der Commissaris und dachte: außer der Pistole . Auf dem Parkett hinter dem Tisch stach ihm ein Glimmen ins Auge, das fast im selben Moment wieder erlosch.
    »Sie sehen nicht aus, als wären Sie bei der Verkehrspolizei, Mijnheer … Mijnheer …«
    »Van Leeuwen«, sagte der Commissaris noch einmal. Er überlegte, welchen Weg er einschlagen sollte bei diesem Gespräch, daskeine Vernehmung war. Es hing davon ab, woran ihm lag, wie tief sein Interesse an dem Toten wirklich reichte. »In seiner Aktentasche haben wir eine Pistole gefunden«, fügte er hinzu.
    »Gerrit hatte eine Pistole?« Margriets Stimme wurde noch heller. Sie sah Van Leeuwen ungläubig an, ehe sie ihm jäh den Rücken zuwandte und anfing, von Blumentopf zu Blumentopf zu gehen, wobei sie bei jeder Pflanze kurz stehen blieb, als inspizierte sie eine zum Appell angetretene Armee. Er betrachtete ihren Rücken; sie hielt sich sehr gerade, wie man sich vielleicht eine Soldatenwitwe in einem Roman vorstellte, gerade, beherrscht, tapfer.
    »Sie war nicht geladen«, erklärte Van Leeuwen. »Sie lag in seiner Aktentasche, zusammen mit einer Brotdose aus blauem Plastik, einer Zeitung, einem Apfel und einem Bibliotheksausweis, der uns seinen Namen verraten hat.«
    Das Glimmen fiel ihm jetzt auch unter dem Polstersessel auf, ebenso überraschend und kurz wie zuvor, wie ein scheues, blitzendes Insekt, das sich zeigte und wieder verschwand, ehe es woanders erneut hervorkam, im Teppich, zwischen den Blumentöpfen, neben der Couch. »Wann haben Sie Ihren Mann zum letzten Mal gesehen?«, hakte er nach.
    »Gestern Morgen.« Die junge Frau wandte ihm weiter den Rücken zu und ging mit kleinen ruckartigen Schritten von Pflanze zu Pflanze. »Als er zur Schule fuhr. Er ist – er war Lehrer, müssen Sie wissen.« Sie schien zu überlegen. »Hat er … hat er sich … könnte es sein, dass er sich umgebracht hat?«
    Der Commissaris spürte ein Flimmern in der Brust, als baute sich hinter seinem Zwerchfell ein elektrisches Spannungsfeld auf. »Hat er davon gesprochen? Hat er Ihnen gegenüber je die Absicht geäußert, sich umzubringen?«
    »Er hat viel gesagt«, antwortete Margriet. »Er hat in letzter Zeit sehr viel gesagt … merkwürdige Dinge. Er hatte Angst, und ich hatte auch Angst. Er hat mir Angst gemacht. Er dachte … er dachte, dass ich ihn … ich weiß nicht, was er wirklich dachte.« Sie drehte sich um, sah Van Leeuwen mit unverhüllter Direktheit in die Augen. »Es war alles so durcheinander, so furchtbar durcheinander.«
    Er entdeckte zwei, dann drei weitere gleißende Punkte, die nicht wieder verschwanden, dicht bei einer kleinen Stechpalme. »Wissen Sie, was Gerrit gestern Abend auf den Wallen gesucht haben könnte?«, fragte er und dachte: Behutsam, du musst behutsamer vorgehen.
    » De wallen – Gerrit? Du meine Güte, nein! Ist er etwa dabei – ist er … also, bei einer dieser Frauen … ist er gestorben, als er gerade … Wollen Sie mir das sagen?« Ihr Blick war auf einmal fast flehend, und ihre Stimme überschlug sich. »Ich verstehe Sie nicht. Ich verstehe Sie einfach nicht!«
    Der Commissaris beobachtete jede Regung in ihrem Gesicht, und unter der scheinbar undurchdringlichen Oberfläche erkannte er, wie sich langsam die Erkenntnis Bahn brach, das Begreifen des Verlustes. Immer deutlicher traten die ersten Anzeichen von Entsetzen, Zorn und Trauer hervor, und er wusste, dass sie nicht mehr rückgängig zu machen waren; dass sie dieses Gesicht für immer

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