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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
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sie. »Ich weiß nicht, wie sich Verachtung anfühlt. Ich war doch hier und wollte ihm helfen, doch ich konnte es nicht. Er wollte nicht mehr reden, jedenfalls nicht mit mir. Vielleicht redete er mit seinen Schülern. Oder mit Pieter, das ist einer seiner Kollegen, sein einziger Freund. Aber nicht mit mir. Er hatte angefangen zu trinken, heimlich. Er dachte, ich merke es nicht, er könnte es vor mir verbergen, vor seiner eigenen Frau. Den Genever, den er sich in den Orangensaft gekippt hat, in den Kaffee, in alles. Er hat sich nicht mehr gewaschen und kaum noch die Sachen gewechselt. Das Hemd, die Unterwäsche – alles roch, alshätte er darin geschlafen. Als wäre er ein einsamer, alleinstehender Mann, ein Witwer vielleicht, der nicht mit dem Verlust seiner Frau fertig wird.«
    Van Leeuwen sagte nichts. Sie sah seine Miene und redete hastig weiter. »Ich wusste, dass er nachts wach lag und getrunken hat, bis zur Bewusstlosigkeit, bis er in Ohnmacht fiel und in seinen Kleidern eingeschlafen ist. Und morgens hat er einfach weitergeschlafen, den ganzen Vormittag, an den Tagen, an denen er nicht in die Schule musste. Und wenn er dann endlich auf war, konnte er kaum noch still sitzen. Immer ist er herumgelaufen, auf und ab, hin und her, und dabei hat er angefangen, vor sich hin zu reden, unzusammenhängendes Zeug über Sünden und Erlösung und Gott. Ich habe ihn im Dunkeln weinen gehört, und manchmal hat er telefoniert, mitten in der Nacht, und geschrien: Ich ersticke, ich ersticke! , und ich konnte ihn hören und dachte: Tu es doch, tu es doch, erstick endlich!«
    Sie wandte Van Leeuwen erneut den Rücken zu, stürzte fast zu den Blumen und beugte sich über eine rote Tulpe, riss auch ihr die Blütenblätter aus, eins und eins und noch eins. Mit jedem Wort öffnete sie das Schlüsselloch zur Hölle weiter. »Wie konnte er mir das antun?! Wie konnte er das sich selbst antun?! Wie konnte er zulassen, dass andere ihm das angetan haben, seine Schüler, das Leben, was weiß ich?« Sie hielt kurz den Atem an, bevor es aus ihr hervorbrach: »Er war so ein Feigling, so eine Niete, so ein Versager, und jetzt ist er tot!«
    »Haben Sie ihn deswegen geheiratet?«, fragte Van Leeuwen, »weil er ein Feigling und eine Niete war?«
    Sie ließ das letzte Blütenblatt zu Boden fallen und redete weiter, als hätte sie ihn nicht gehört, nur dass ihre Stimme jetzt leise klang, leise und tief. »Vorgestern war es dann so weit – ich habe ihm gesagt, er soll gehen. Ich habe ihm gesagt, dass er unser Haus verlassen soll, dass er sich rausscheren soll! Ich habe es nicht so ruhig gesagt wie jetzt, müssen Sie wissen. Ich habe ihn angeschrien, dass ich diesen Wahnsinn nicht länger mitmache. Ich kann dich nicht mehr sehen, habe ich geschrien, ich ertrage dich nicht mehr, geh weg,verschwinde! Es war, als hätte keiner von uns mehr gewusst, wer er ist und was er tut. Ich glaube, ich habe ihn sogar geschlagen. Ich bin auf ihn losgegangen, und er hat meine Gelenke gepackt; seine Augen waren ganz flach wie die von einem Tier in höchster Angst. Er hat mich festgehalten, aber ich habe mich losgerissen, und dabei habe ich dann das Gleichgewicht verloren und bin in den Spiegel gestürzt, der da an der Wand hing, da, wo nun die helle Stelle ist. Sieben Jahre Pech, sagt man doch, oder?
    Sie holte tief Luft. »Der Spiegel ist heruntergefallen und in tausend Stücke zersprungen. Wie ein Bienenschwarm sind die Splitter und Scherben herumgeflogen, ich hatte überall Schnitte und Stiche, im Gesicht und auf den Schultern und sogar im Haar, und geblutet habe ich auch, aber wenigstens war es raus. Was gesagt werden musste, war raus. Und deswegen war ich auch nicht sehr traurig, als er gestern nicht nach Hause gekommen ist. Ich war wirklich nicht sehr traurig. Endlich hat er ’s begriffen, dachte ich. Endlich.«
    Help me if you can, I’m feeling down.
    »Wissen Sie noch, wann Sie das letzte Mal glücklich waren, Sie und Gerrit?«, fragte der Commissaris.
    Margriet drehte sich wieder um, sah Van Leeuwen aber nicht an. »Er ist doch tot.« Ihre Stimme verlor sich, als würde Gerrit bereits jetzt in ihrer Erinnerung kleiner und kleiner und stünde kurz davor, völlig zu verblassen. Sie versuchte, dieses merkwürdige Wort nachzusprechen: »Glücklich?« Nachsichtig schüttelte sie den Kopf. »Vor ein paar Tagen, im Park, da war ein Baum, ich weiß nicht mehr, was für einer – irgend so ein Baum eben, mit roter Rinde und Nadeln an den Ästen und vielen braunen

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