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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
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auf, schmeckte Zellophan, das sich in seinen Mund zu drängen schien, als er Luft zu holen versuchte. Hände hielten seinen Kopf mit festem Griff , warum tust du das? , er versuchte, sie wegzuziehen, aber sie bewegten sich nicht, sie hielten seinen Kopf und das Zellophan – wer bist du? Lass mich doch los! –, und ja , jetzt lösten sie sich, der Druck ließ nach.
    Ein Schatten bewegte sich vor seinen Augen, schien um seinen Kopf zu kreisen, mehrmals schnell hintereinander, und dann zog sich etwas um seinen Hals zusammen wie ein zu eng geschlungener Schal.
    Er keuchte. Er hörte seinen Atem und spürte, wie er ihm die Brust zu sprengen drohte, wie seine Lungenflügel sich aufblähten und zusammenzogen und wie sich das Zellophan glatt und feucht an sein Gesicht schmiegte. Seine Beine zuckten, ich will nichtsterben. Er bäumte sich auf. Die Hände waren nicht mehr da, niemand hielt ihn mehr, nur der glatte Schal schloss sich noch eng um seinen Hals, glatt wie das Zellophan, und hielt es über seinem Kopf fest. Seine Finger glitten ab, und dann ließ er los. Ihm wurde leicht zumute, ganz leicht, und er rührte sich nicht mehr. Er lag auf dem Rücken, und über ihm öffnete sich funkelnd die Nacht, der Himmel, die Sterne, matt, ein wenig schlierig, das Zellophan von innen beschlagen, und seine Atemstöße waren jetzt ganz laut und langsam, einer und noch einer und noch einer, deren Schall allmählich verebbte, als er endlich tief im Inneren seine Flügel ausbreitete.
    Es war so einfach.

2
    Obwohl er schlief, konnte der Commissaris die Züge hören und die Stimmen der Reisenden auf den Bahnsteigen, wenn sie an der Bank
     vorübergingen. Die Bank, auf der er saß, stand nur ein Stück vom Eingang des Grand Café I er Klas entfernt, und er konnte alles hören, was um ihn herum geschah, und trotzdem schlafen. Er träumte, er wäre in der Centraal Station und wartete auf den Zug, mit dem seine Frau zurückkommen sollte, und als er aufwachte, war er tatsächlich in der Centraal Station, aber Simone war tot.
    Er sah auf die große Uhr über den Gleisen. Es war nach Mitternacht. Er hatte fast zwei Stunden geschlafen, und niemand hatte ihn geweckt, denn die Bahnhofspolizei kannte ihn schon. Auch sonst erregte er keinerlei Aufsehen, denn mit seinem hellen Trenchcoat, dem leichten Sommeranzug aus beigem Leinen und den geputzten braunen Schnürschuhen sah er nicht aus wie ein Stadtstreicher. Er wusste nicht, wie er stattdessen aussah, aber nie kam jemand, um ihn wachzurütteln, wenn er die Nähe anderer Menschen suchte, um zu schlafen. Niemals wurde er gefragt, ob er Hilfe brauche oder kein Zuhause habe. Er hatte ja auch ein Zuhause; es war nur so, dass er dort nicht sein wollte.
    Die Halle über den Gleisen war erfüllt von fahlem Licht, unddort, wo sie endete, schimmerte Regen wie Quecksilberstaub unter dem Nachthimmel. Draußen vor der Halle standen mehrere Signale auf Rot. Es fuhren keine Züge mehr. Auf einer Bank gegenüber blähte sich eine liegengebliebene Zeitung im Wind. Die Bahnsteige waren jetzt leer, und der Commissaris stand auf und ging an den geschlossenen Bistros und Kiosken vorbei zur Treppe ins Tiefgeschoss, und plötzlich spürte er wieder die Angst kommen: Erst war es nur eine pochende Vorahnung von Panik, dann ein jäher Druck, der sich um sein Herz schloss. Es war der Moment, in dem er sich an seiner Einsamkeit schnitt wie an einem scharfen Blatt Papier.
    Es ist nichts, sagte er sich; daran wirst du dich gewöhnen, wie du dich bisher an alles gewöhnt hast.
    Er ging durch die Bahnhofshalle hinaus auf den Stationsplein, und als er draußen war, hörte der Regen auf. Die Planen, die schon seit Jahren das rote Backsteingebäude der Centraal Station verhüllten, flatterten im Seewind. An der U-Bahn-Baustelle wurde noch gearbeitet. Der Widerschein der Scheinwerfer glitzerte auf dem feuchten Asphalt und dem sacht bewegten Wasser vor dem Bahnhofsplatz.
    Eine Straßenbahn bog vom Dam auf den Platz, und der Fahrer schlug ein paar Mal hart auf die Klingel. Die dicht gedrängt stehenden Passagiere schwankten hin und her. Die trübe Beleuchtung flackerte. Die Tram hielt, und die Fahrgäste stiegen aus, Hafenarbeiter in schmutzigen Overalls, Restaurantpersonal, afrikanische Putzfrauen, Straßenmusikanten und Jugendliche, die mit den letzten stoptreins zurück in die Vororte wollten.
    Der Commissaris stieg ein. Er zeigte dem Kontrolleur in der Mittelkabine seinen Ausweis und setzte sich auf einen Platz ganz hinten, wo er

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