Totenfeuer
Sie mit, ich bringe Sie zum Feuer. Wanda, du bleibst hier und kriegst raus, ob von der Landjugend einer fehlt.«
»Zu Befehl, Frau Feldwebel!«
»Wanda, reiß dich zusammen, das ist hier keine Reality-Show!«
»Ja, ja …«
Schon eilt Sabine Völxen mit energischen Schritten den dunklen Feldweg entlang, gefolgt von Fernando und Jule, die in ihren hohen Schuhen ständig stolpert, sodass sie schließlich sogar Fernandos ritterlich dargebotenen Arm als Stütze akzeptieren muss.
»Stehen dir gut, diese High Heels. Ich mag es, wenn Frauen nicht vor mir fliehen können.«
Jule hat sich nach einem Jahr der Zusammenarbeit mit Fernando angewöhnt, auf seine Machosprüche mit postfeministischer Gelassenheit zu reagieren, jedenfalls meistens, deshalb ignoriert sie seine Worte und sagt: »Völxens Frau macht einen netten Eindruck.« Sie hat sich die Frau ihres Chefs, eine Dozentin für Klarinette an der Musikhochschule, ganz anders vorgestellt. Sie kann nicht genau sagen wie, aber jedenfalls anders. Sabine Völxens bodenständiger Charme und ihre resolute Art haben etwas Gewinnendes.
»Ja, die ist ganz in Ordnung«, stimmt ihr Fernando zu. »Allerdings kann ich mir gut vorstellen, wer bei Völxens zu Hause die Hosen anhat.«
Das muss ausgerechnet Fernando sagen, amüsiert sich Jule, während dieser fortfährt: »Aber, mi madre , diese Wanda ist vielleicht ein scharfer Braten geworden.«
»Das lass ihren Vater lieber nicht hören.« Jule schüttelt seinen Arm ab und stolpert das letzte Stück allein den Feldweg entlang.
Die Umgebung der Feuerstelle ist inzwischen mit rot-weißem Flatterband abgesperrt worden. Eine gewaltige Qualmwolke hängt über dem Geschehen, die Freiwillige Feuerwehr ist in Aktion: Scheinwerfer leuchten auf, ein Motor läuft, Kommandos ertönen aus kräftigen Männerkehlen, aus einem Schlauch schießt ein dicker Wasserstrahl auf die Glut. Es zischt. Dampf steigt auf. Immer wieder müssen Gaffer mit Fotoapparaten vertrieben werden. Neben den Lichtkegeln aus den Scheinwerfern des Löschfahrzeugs irrlichtern die Strahlen von einigen Taschenlampen durch die Nacht.
»Er war sich nicht sicher, ob er es löschen oder herunterbrennen lassen sollte«, erklärt Sabine, während sie Ausschau nach ihrem Gatten hält.
»Ich fürchte, man wird so oder so keine Spuren finden«, antwortet Jule.
Die Leiche liegt vor der Feuerstelle am Wegrand, zugedeckt mit einer silbernen Rettungsplane. Zwei uniformierte Polizisten halten davor Wache. Jule macht Anstalten, zu ihnen hinüberzugehen.
»Ersparen Sie sich den Anblick lieber«, meint Sabine Völxen. »Man erkennt gerade noch, dass es mal ein Mensch war, aber das ist auch schon alles. Diesen Anblick werde ich mein Lebtag nicht vergessen.« Sie schaudert.
Sicher ein gut gemeinter Rat, doch es widerstrebt Jule, sich von der Frau ihres Chefs vorschreiben zu lassen, wie sie ihre Arbeit zu machen hat. »Es muss leider sein«, antwortet sie diplomatisch und stakst davon, während Fernando bei Sabine Völxen stehen bleibt und ihr erklärt: »Jule hat mal ein paar Semester Medizin studiert. Sie ist ganz verrückt nach Leichen.«
Jule zeigt den beiden Beamten ihren Dienstausweis und bittet sie, die Plane kurz abzunehmen. Einer reicht ihr eine Taschenlampe. Sabine Völxen hatte recht, der Anblick ist schockierend: verbrannte Hautfetzen, verkohltes Fleisch, das Gesicht ist eine nasenlose Fratze, die Augen sind zu schwarzen Klumpen verkocht. Vom Haar ist nichts übrig, und auch die ursprüngliche Größe dieses Menschen lässt sich nicht bestimmen, nachdem die Hitze den Körper hat schrumpfen lassen. Wie alt die Person war und ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt, wird wohl erst die Rechtsmedizin klären können. Jule gibt dem Beamten die Lampe zurück, und die Plane wird wieder über den Leichnam gelegt. Wie aus dem Boden gewachsen steht plötzlich Völxen hinter ihr. Beinahe hätte Jule ihren Chef nicht erkannt, denn er trägt Jeans und eine Funktionsjacke mit einer eingestickten Pfote auf dem Kragen. Sein Gesicht ist rot, die Augen ebenfalls, Schweiß steht ihm auf der Stirn, seine noch verbliebenen Haare stehen ihm wirr vom Kopf ab. »So eine Schweinerei in meinem Dorf!«, begrüßt er seine Mitarbeiterin.
»Hat man denn eine Ahnung, um wen es sich bei der Leiche handeln könnte?«
Völxen winkt ab: »Nur wilde Gerüchte und abenteuerliche Spekulationen.« Ein Fahrzeug nähert sich auf dem holprigen Feldweg. Es ist der Übertragungswagen eines örtlichen
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