Operation Ocean Emerald
1
Während Aaro das Angebot an Computerspielen sichtete, schob Niko unbemerkt eine DVD in Aaros Umhängetasche. Ladendiebstahl war eine kriminelle Handlung, warum also selbst unnötige Risiken eingehen?
»Blut und Gedärmereste«
, las Niko schmunzelnd von einer DV D-Hülle ab, dann nahm er einen anderen Film aus dem Regal und hielt ihn Aaro mit unschuldiger Miene unter die Nase. »Den lässt dich dein Vater garantiert nicht anschauen.«
»Ich muss ihn ja nicht um Erlaubnis bitten«, entgegnete Aaro, griff in die Tüte mit den Fruchtgummis und schob sich eines davon in den Mund. »Die Frage ist, ob mich der Film interessiert«, sagte er mit Blick auf die ketchuprote Hülle:
Der Schlächter aus der Bronx
. »Der ist ja nicht mal in Dolby Digital.«
»Du weißt eben nicht, was gut ist«, schnaubte Niko verächtlich. Er war blond, ein bisschen dicklich und mit seinen achtzehn Jahren vier Jahre älter als der für sein Alter recht kleine, schmächtige Aaro. »Das hier ist die ungeschnittene Fassung. Du bist noch zu jung, um zu wissen, dass sie früher die besten Stellen aus den Kultfilmen herausgeschnitten haben. Das war übelste Zensur.«
»Einschränkung der künstlerischen Freiheit«, korrigierte Aaro und schob die DVD zwischen Nikos Wurstfinger zurück.
Niko war von dem Unterton des Kommentars verunsichert. »Willst du mich verarschen?«
»Wie kommst du darauf? Aber wieso stöberst du überhaupt hier herum, du hast doch eh kein Geld, um Filme zu kaufen.«
»Man muss nicht immer alles kaufen«, grinste Niko und senkte die Stimme. »Man kann auch auf andere Art für Spannung sorgen.«
»Komm, wir gehen.« Aaro wandte sich der Tür zu. Er wollte mit Niko am selben Tag noch nach Hamina fahren, und wenn sie weiter in diesem Laden herumtrödelten, wäre es zu spät dafür.
Im selben Moment bemerkte er Emmi, deren Eltern regelmäßig in der Antiquitätenhandlung seiner Großmutter irgendwelchen alten Plunder kauften. Aaro erstarrte vor Schreck, als das Mädchen auf ihn zukam. Emmis blonder Pferdeschwanz hüpfte fröhlich beim Gehen. Für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich ihre Blicke.
»Hi, Aaro!« Emmi schien überrascht, ihn zu sehen, schließlich sollte er längst wieder in Brüssel sein. Aber dann ging sie auch schon an dem rot angelaufenen Aaro vorbei zu dem Regal mit der italienischen Musik. Früher hatten sie zusammen auf dem Spielplatz gespielt, aber jetzt trauten sie sich nicht einmal, ein paar Worte zu wechseln.
Eine Handvoll Fruchtgummis rutschte aus Aaros Tüteund fiel auf den Fußboden. Er kam sich ungeschickt und hilflos vor. Dieses Gefühl kannte er aus der Schule, speziell aus dem Sportunterricht.
Zum Glück hatte Emmi sein Missgeschick nicht bemerkt, denn sie sah sich bereits die neue CD von Eros Ramazzotti an. Es war Mitte September, in Porvoo hatte die Schule schon vor einem Monat wieder begonnen, aber für Aaro war das neue Schuljahr in Brüssel erst vor zwei Wochen losgegangen. Jetzt hatte er gerade Sonderferien und war darum bei seiner Großmutter in Finnland.
»War das deine Freundin?«, neckte ihn Niko und folgte Aaro, der einen Zahn zugelegt hatte, zum Ausgang. »Dafür muss man sich nicht schämen. Warum sollte nicht auch so ein dünner Hering wie du eine Freundin haben.«
Der dünne Hering wollte schon eine Bemerkung über Nikos Fettpolster machen, aber das wäre sinnlos gewesen. Niko trug seine Masse mit Gelassenheit, es juckte ihn überhaupt nicht, wenn er damit aufgezogen wurde. Auf diese Selbstsicherheit war Aaro schon immer neidisch gewesen.
Als die beiden den Ladenausgang erreichten, heulte plötzlich der Diebstahlalarm los und alle Kunden, die an der Kasse standen, drehten sich nach dem Gespann um. Aaro spürte erneut, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss. Niko hingegen war auf einen Schlag kreidebleich.
Wie aus dem Nichts tauchte hinter ihnen ein Mann im weißen Hemd auf und ließ seine große Hand schwer auf Nikos Schulter fallen. »Aha. Niko ist mal wieder unterwegs.«
»Kennen sie dich hier schon mit Namen?«, raunte Aaro seinem Freund zu und schluckte.
Niko antwortete nicht. Seine Selbstsicherheit schien wie weggeblasen. Der Geschäftsführer stellte den Alarm ab. Die Kunden im Laden reckten die Hälse, um besser sehen zu können.
Aaro erkannte Emmis erstaunten Blick und das veranlasste ihn, den Leuten den Rücken zuzukehren. Er schämte sich für Niko, und zwar nicht zum ersten Mal.
»Geh noch einmal durch«, befahl der Mann im weißen Hemd und Niko machte
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