Totenflut
Angst kämpfenden Vater mit einem Lächeln zu begegnen.
»Was ist passiert?«, wollte der wissen, und seine Augen versuchten die Antwort irgendwo in Schröders Gesicht abzulesen.
»Darf ich reinkommen?«
Herr Krüger nickte, und während Schröder eintrat, stellte er seine Frage ein zweites Mal.
»Ich kann ihnen noch keine Auskunft geben, wir wissen es nicht.« Kaum hatte Schröder den Satz beendet, huschte Frau Krügers Schatten von einer Glastür zurück ins Wohnzimmer. Sie musste gelauscht haben. Schröder konnte es ihr nicht verdenken. Herr Krüger meinte, sich für seine Frau entschuldigen zu müssen.
»Sie müssen verstehen, sie steht unter groÃem Stress, wir machen uns solche Sorgen â¦Â«
Schröder legte beruhigend seine Hand auf Krügers Schulter, und der nickte dankbar.
Sie betraten das Wohnzimmer. Die Angst war ebenso fühlbar wie die Hitze, die in dem Raum stand. Eine bleierne, erdrückende Luft. Die Terrassentür war verschlossen, die Gardinen zugezogen. Auf der Terrasse standen Gartenmöbel. Die Stühle waren gegen den Tisch gekippt. Der Regen trommelte dumpf aufs Dach. Frau Krüger saà auf einem Sessel und blickte hinaus.
»Guten Morgen«, sagte Schröder, und die Frau drehte sich nur halb zu ihm herum. Selbst im Profil war ihr von Sorge und Angst gezeichnetes Gesicht deutlich zu erkennen. Ihre Augen waren wund vom Weinen, und sie zitterte am ganzen Körper.
Schröder und Herr Krüger setzten sich zu ihr.
»Es tut mir sehr leid, dass ich Ihnen noch nicht mehr berichten kann.« Es kam keine Reaktion und auch keine Antwort, also sprach Schröder einfach weiter.
»Ich werde den Fall betreuen und Sie über alle Neuigkeiten so schnell wie möglich in Kenntnis setzen.«
Frau Krüger drehte sich langsam zu Schröder um. Der Ledersessel knarzte. Sie sah ihn aus in Tränen schwimmenden Augen an.
»Wo ist mein Kind? Wo ist meine Kleine?«
»Ich kann es Ihnen nicht sagen, Frau Krüger. Ich brauche Ihre Hilfe. Sie könnten mir ein paar Fragen beantworten â¦Â«
Frau Krüger drehte sich wieder weg und starrte weiter hinaus. Herr Krüger nickte verständig. Auch er hatte jetzt Tränen in den Augen. Schröder war es so heiÃ, dass er es kaum aushielt.
»Hat Ihre Tochter einen Freund?«, fragte er und wählte bewusst das Präsens, um bloà nicht den Eindruck entstehen zu lassen, dass er davon ausging, sie sei bereits nicht mehr am Leben.
»Nein«, sagte Frau Krüger schnell und kurz.
Auf einer Anrichte stand ein Foto von Annette, das offensichtlich nach einem Hockey-Spiel gemacht worden war.
»Sind Sie sich da sicher? Sie ist ein hübsches Mädchen und in dem Alter â¦Â«
»Ich bin ihre Mutter! Ich werde es wohl wissen!«
»Also scheidet Liebeskummer schon mal aus. Gab es sonst Anzeichen dafür, dass sie unglücklich war, Probleme hatte?«
»Nein, nein, nein!«
Frau Krüger zückte ein Taschentuch aus ihrem Ãrmel und wischte sich die Tränen fort. Sie war kurz davor, die Fassung zu verlieren. Schröder wollte die Unterredung zügig beenden.
»Wie siehtâs mit einer besten Freundin aus?«, fragte er.
Jetzt schien Frau Krüger sich wieder zu fangen. Sie atmete tief durch und schob das Taschentuch in den Ãrmel.
»Karla. Karla ist ihre beste Freundin! Sie kennen sich seit der fünften Klasse.«
»Der vollständige Name?«, hakte Schröder nach.
»Karla Braun. Ich kann Ihnen die Adresse aufschreiben.«
»Vielen Dank. Das wäre nett.«
Als Schröder wieder vor der Tür im Regen stand, atmete er tief durch. Eine groÃe Last fiel von seinen Schultern. Er hatte es durchgehalten, von Annette nicht in der Vergangenheit zu sprechen. Das war das Wichtigste bei vermissten Personen: niemals in der Vergangenheit zu sprechen. Man musste sich unglaublich konzentrieren, vor allem, wenn man wie in diesem Fall sicher war, dass die Eltern ihr Kind bald würden begraben müssen.
Die magere Ausbeute an Informationen lieà es einfach nicht zu, sich ein klares Bild von Annettes Leben zu machen. Schröder hoffte, die Freundin würde in einer besseren Verfassung sein, und auÃerdem erzählte man einer besten Freundin mehr als seinen Eltern. So sicher Frau Krüger auch war, dass ihre Tochter keinen Freund hatte, Schröder wollte das einfach nicht glauben. Sie war wirklich ein
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