Totenflut
dann kommt man wieder. Hatten wir doch oft in letzter Zeit«, fügte Keller hinzu.
Schröder hatte wenig Geduld mit derartig unqualifizierten ÃuÃerungen. Sein Rücken plagte ihn schon genug, da wollte er seine Zeit nicht mit noch mehr solcher Kommentare verschwenden.
»Ich will, dass ihr beide den Tatort untersucht. Alles, was auffällig ist, bringt ihr mir und legt es mir auf den Schreibtisch, verstanden?«
»Tatort?«, fragte Trostmann, »wir haben keinen Tatort, Schröder. Du siehst Gespenster. Wie beim letzten Mal auch.«
Schröder war bereits im Begriff die Halle zu verlassen. Trostmann rief den letzten Satz hinter ihm her. Schröder hielt kurz inne. Es wurde ganz still in der Halle. Alle hier wussten, dass Trostmann einen wunden Punkt getroffen hatte. Aber Schröder lieà es auf sich beruhen und warf die Tür hinter sich ins Schloss.
Kapitel 5
Natürlich war es kein Tatort, dachte Schröder während er im Auto saÃ. Sie hatten keinen Tatort, weil sie keine Leiche hatten. Nur eine Vermisstenanzeige. Und Schröders Gefühl. Sein Gefühl sagte ihm, dass dieses Mädchen einem Verbrechen zum Opfer gefallen war. Doch auf sein Gefühl setzte hier niemand mehr einen Heller. Es hatte mehrere ähnliche Fälle im Kreis Osnabrück gegeben in den letzten zwei Jahren. Mädchen, die spurlos verschwunden waren. Mädchen, die man nie wieder lebend finden würde. So sah Schröder es. Und mit dieser Meinung hatte er sich isoliert innerhalb des Reviers. Keiner teilte seine Theorie von einem Serienkiller. Allein der Begriff war für die meisten Menschen hier so unreal, dass sie glaubten, Serienkiller existierten nur im Fernsehen und in Romanen. Man wurde regelrecht mit Serienkillern zugeworfen, wenn man sich das Fernsehprogramm oder den Buchmarkt anschaute. Aber in Osnabrück? Nein, hier doch nicht. Osnabrück war eine kleine, saubere, friedliche Stadt. Die Stadt kümmerte sich um seine Studenten, um den Ausbau der Innenstadt, Geschäfte schossen aus dem Boden, Häuser wurden saniert, erneuert, Fassaden poliert. Die Menschen hier sorgten sich um ihre Vorgärten, um Verkehrsberuhigungen vor Schulen, um die Preiserhöhung im öffentlichen Verkehr und im nächsten Supermarkt. Das Aufregendste, was hier passierte, waren die Bombenfunde aus dem Zweiten Weltkrieg, derentwegen regelmäÃig ganze Stadtteile evakuiert werden mussten. Schröder musste selbst zugeben, dass ein Serienkiller hier so etwas wie ein Wesen aus einer anderen Welt war.
Umso weniger wusste Schröder, was er Annette Krügers Eltern über ihr Verschwinden erzählen sollte. Er hielt sich für einen schlechten Lügner und glaubte, jede unehrliche Antwort auf eine ihrer Fragen stände ihm sofort ins Gesicht geschrieben. Alles in ihm wehrte sich dagegen, jetzt auszusteigen, doch er musste es tun.
Das Haus stand unter einer riesigen Kastanie, die einen Regenschatten auf das Haus und einen Teil des Vordergartens warf. Schröders Rückenschmerzen strahlten nun auch in sein rechtes Bein aus. Vor der Haustür nahm er zwei Schmerztabletten aus einem Fläschchen und schluckte sie trocken hinunter. Dann klingelte er.
Dieses war der schlimmste Moment der Polizeiarbeit. Hiervor fürchtete er sich am meisten. Nicht vor den Opfern, mit denen man sprach, und nicht vor den Leichen, die man fand. Man wusste ja nie, was einen genau erwartete, wenn man zu einem Tatort gerufen wurde. Es war ein Sprung ins kalte, aber trübe Wasser. Mit den Angehörigen eines Opfers zu sprechen, war eine Erfahrung, die man einmal machte und sich danach wünschte, es nie wieder tun zu müssen. Nie wieder. Das Leid und der Schmerz, der auf diese Menschen einstürzte, waren für ihn kaum zu ertragen. Nie hatte er sich daran gewöhnen, sich damit arrangieren oder es ausblenden können. Das Grauen der Morde wurde einem bei diesen Besuchen aufs Brutalste bewusst. Hier wurden sie erst Wirklichkeit. Es war der Sprung ins kalte Wasser, nur, dass das Wasser glasklar war und man auf den Grund sehen konnte, wo einen messerscharfe Felsen erwarteten, auf die man aufprallen würde. Trotzdem musste man springen.
Die Tür öffnete sich, und Herr Krüger zog sie so weit auf, dass er sich wie zum Schutz dahinter verstecken konnte.
»Guten Morgen. Mein Name ist Schröder. Ich bin von der Kripo Osnabrück.«
Schröder zeigte seine Marke und versuchte dem mit seiner
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