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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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noch etwas: Rafe wusste das. Er hatte dieses Gebot absichtlich übertreten. Ich war mir nicht sicher, wen er damit hatte reizen wollen oder warum – vielleicht alle, vielleicht war er einfach in so einer Stimmung –, aber es war ein Haarriss in dieser vollkommenen Oberfläche.

    Franks FBI-Kumpel meldete sich am Mittwoch bei ihm. Als ich Franks Stimme am Telefon hörte, wusste ich sofort, dass etwas passiert war, etwas Wichtiges.
    »Wo bist du?«, fragte er.
    »Auf irgendeinem Feldweg, ich weiß nicht. Wieso?«
    Eine Eule schrie dicht hinter mir. Ich wirbelte herum und sah gerade noch, wie sie nur wenige Meter entfernt mit ausgebreiteten Schwingen in die Bäume tauchte, leicht wie Asche. »Was war das?«, fragte Frank scharf.
    »Bloß eine Eule. Einatmen, Frank.«
    »Hast du deinen Revolver dabei?«
    Hatte ich nicht. Ich war gedanklich nur noch mit Lexie und den Fantastischen Vier beschäftigt und hatte völlig vergessen, dass sich das, hinter dem ich eigentlich her war, außerhalb von Whitethorn House befand und sehr wahrscheinlich auch hinter mir her war. Dieser Fehler, mehr noch als der Ton in Franks Stimme, bewirkte, dass sich mein Magen zur Warnung schmerzhaft verkrampfte: Bleib konzentriert .
    Frank bemerkte mein kurzes Zögern und reagierte sofort. »Geh nach Hause. Auf der Stelle.«
    »Ich bin erst zehn Minuten weg. Die anderen werden sich wundern –«
    »Die sollen sich so viel wundern, wie sie wollen. Du läufst mir nicht unbewaffnet durch die Gegend.«
    Ich machte kehrt und ging zurück den Weg hoch, unter der Eule hindurch, die auf einem Ast schwankte, die Silhouette ihrer spitzen Ohren vor dem Himmel. Ich bog ab, um mich dem Haus von vorne zu nähern – die Wege dort waren breiter, boten weniger Deckung für einen Hinterhalt. »Was ist passiert?«
    »Gehst du nach Hause?«
    »Ja. Was ist passiert?«
    Frank atmete laut aus. »Mach dich auf eine Überraschung gefasst, Kleines. Mein Kumpel in den Staaten hat die Eltern von May-Ruth Thibodeaux aufgespürt. Sie wohnen in irgendeinem gottverlassenen Kaff in den Bergen von North Carolina, haben nicht mal Telefon. Er hat jemanden hingeschickt, der ihnen die traurige Nachricht überbringen und sie ein bisschen ausfragen sollte. Und rate mal, was er erfahren hat.«
    Ich wollte ihm sagen, er solle mit den Spielchen aufhören und auf den Punkt kommen, doch da wusste ich es plötzlich. »Sie ist es nicht.«
    »Volltreffer. May-Ruth Thibodeaux starb im Alter von vier Jahren an Meningitis. Den Eltern wurde das Foto von dem Ausweis gezeigt. Sie hatten die Frau noch nie gesehen.«
    Es traf mich wie ein tiefer Atemzug reinen, wilden Sauerstoffs. Ich spürte ein so heftiges Verlangen loszulachen, dass mir fast schwindelig wurde, wie ein verliebter Teenager. Sie hatte mich nach Strich und Faden getäuscht – Pick-ups und barfuß Limo kaufen, von wegen –, und ich konnte nur denken, alle Achtung, Mädchen. Da hatte ich mir eingebildet, ein Leben auf dünnem Eis zu führen, und mit einem Mal kam mir das vor wie ein pubertäres Spielchen, als wäre ich eine Tochter aus reichem Hause, die auf arm macht, während der Treuhandfonds immer dicker wird, wohingegen diese Frau ernst gemacht hatte. Sie hatte ihr ganzes Leben, alles, was sie war, mit so leichter Hand gehalten wie eine Wildblume im Haar, um es jederzeit einfach wieder wegzuwerfen, wenn sie sich auf und davon machte, mit Vollgas den Highway hinunter. Was mir nicht ein einziges Mal gelungen war, war ihr so leichtgefallen wie Zähneputzen. Niemand, nicht meine Freunde, nicht meine Verwandten, nicht Sam oder sonst ein Mann, hatte mich je so gepackt. Ich wollte spüren, wie mir dieses Feuer durch die Knochen jagte, ich wollte, dass mir der Sturm die Haut sauberschmirgelte, ich wollte wissen, ob so eine Freiheit nach Ozon roch oder nach Gewittern oder nach Schießpulver.
    »Großer Gott«, sagte ich. »Wie oft hat sie das gemacht?« »Mich interessiert eher, warum . Das alles bestätigt meine Theorie: Irgendwer war hinter ihr her, und er hat nicht aufgegeben. Sie stößt irgendwo auf die May-Ruth-Identität – ein Friedhof vielleicht oder eine Todesanzeige in einer Zeitung – und fängt an. Er spürt sie auf, und sie haut wieder ab, diesmal verlässt sie das Land. So was machst du nur, wenn du richtig Angst hast. Aber am Ende hat er sie doch erwischt.«
    Ich hatte das vordere Tor erreicht, lehnte mich mit dem Rücken gegen einen Torpfosten und atmete tief durch. Im Mondschein sah die Einfahrt fremdartig aus,

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