Totengleich
unsägliche Sachen anstellt. Ich glaube, er erzählt deshalb nie was, weil er einfach nichts zu erzählen hat: In seinem Liebesleben passiert noch weniger als in unserem.« Rafes Augen glitten zur Seite, und er schenkte mir ein winziges, rätselhaftes Grinsen.
»Kaum möglich«, sagte Abby.
»Und nach meiner heißen Affäre mit dem Männer-Hockeyteam fragt keiner?«, sagte Justin.
»Nein«, sagte Rafe. »Auch nicht nach irgendeiner anderen von deinen heißen Affären, denn erstens erfahren wir es sowieso, und zweitens sind sie todlangweilig.«
»Na«, sagte Justin nach einem Augenblick. »Jetzt hast du’s mir aber gezeigt. Obwohl das ausgerechnet aus deinem Munde … «
»Was?«, fragte Rafe, stützte sich auf die Ellbogen und starrte Justin kalt an. »Was soll das heißen, ausgerechnet aus meinem Munde?«
Niemand sagte etwas. Justin nahm seine Brille ab und putzte sie mit dem Hemdszipfel, zu gründlich. Rafe zündete sich eine Zigarette an.
Abby warf mir einen Blick zu, wie ein Stichwort. Ich musste an die Videos denken: Die beiden sind eingespielt , hatte Frank gesagt. Das war Lexies Aufgabe: angespannte Situationen auflösen, eine schnoddrige Bemerkung von sich geben, damit alle die Augen verdrehen und lachen und weitermachen konnten. »Ach, verdammter sexuell undefinierter Mist«, sagte ich, als der Bolzen wieder heraussprang und ins Gras fiel. »Können damit alle leben?«
Sogar Justin musste lachen, und selbst der verärgerte Rafe gab sich einen Ruck, legte seine Kippe am Rand der Terrasse ab und half mir bei der Suche nach dem Metallbolzen. Ein Glücksschauder durchlief mich: Ich hatte es geschafft.
»Dieser Detective hat nach meinem Tutorenkurs vor dem Seminarraum auf mich gewartet«, sagte Abby am Freitagabend im Auto. Justin war früher nach Hause gefahren – er hatte den ganzen Tag über Kopfschmerzen geklagt, aber ich hatte eher den Eindruck, als wäre er sauer, und zwar auf Rafe –, deshalb saßen wir Übrigen bei Daniel im Wagen, im Stau auf der Schnellstraße, zusammen mit Tausenden lebensmüde aussehenden Büroangestellten und minderbestückten Blödmännern in protzigen Geländewagen. Ich hauchte gegen mein Fenster und spielte auf der beschlagenen Scheibe Schiffeversenken gegen mich selbst.
»Welcher?«, fragte Daniel.
»O'Neill.«
»Hmm«, sagte Daniel. »Was wollte er denn diesmal?«
Abby nahm ihm die Zigarette aus den Fingern und zündete ihre damit an. »Er wollte wissen, warum wir nicht ins Dorf gehen«, sagte sie.
»Weil da nur sechszehige Schwachköpfe hausen«, sagte Rafe zum Fenster. Er saß neben mir, tief in den Sitz gedrückt und wippte mit dem Knie in Abbys Rücken. Staus machten Rafe wahnsinnig, aber seine ungewöhnlich schlechte Laune bestärkte mich in dem Verdacht, dass da irgendetwas zwischen ihm und Justin im Busch war.
»Und was hast du gesagt?«, fragte Daniel, reckte den Hals und fädelte langsam in die Nebenspur ein. Wir kamen ungefähr zehn Zentimeter weiter.
Abby zuckte die Achseln. »Die Wahrheit. Dass wir einmal im Pub waren, dass die Leute uns die kalte Schulter gezeigt haben, dass wir nie wieder hin sind.«
»Interessant«, sagte Daniel. »Ich glaube, wir haben Detective O'Neill unterschätzt. Lex, hast du mit ihm irgendwann über das Dorf geredet?«
»Auf die Idee wäre ich nie gekommen.« Ich gewann mein Spiel, streckte die Fäuste in die Luft und schüttelte sie triumphierend. Rafe warf mir einen mürrischen Blick zu.
»Na«, sagte Daniel, »da haben wir’s. Ich muss zugeben, ich hab O'Neill nicht ganz ernst genommen, aber wenn er von allein drauf gekommen ist, ist er scharfsinniger, als er aussieht. Ich frage mich, ob … hm.«
»Er ist nerviger , als er aussieht«, sagte Rafe. »Zumindest hat Mackey nichts mehr von sich hören lassen. Wann lassen die uns endlich in Ruhe?«
»Ich wurde niedergestochen, verdammt nochmal«, sagte ich gekränkt. »Ich hätte sterben können. Die wollen wissen, wer das war. Und ich auch übrigens. Ihr etwa nicht?«
Rafe zuckte die Achseln und blickte wieder böse in den Verkehr.
»Hast du ihm von den Schmierereien erzählt?«, fragte Daniel mit Blick auf Abby. »Oder den Einbrüchen?«
Abby schüttelte den Kopf. »Er hat nicht danach gefragt, ich hab’s nicht von mir aus gesagt. Glaubst du … ? Ich könnte ihn anrufen und es ihm sagen.«
Niemand hatte irgendwas von Schmierereien und Einbrüchen gesagt. »Glaubt ihr, jemand aus dem Dorf hat mich niedergestochen?«, sagte ich und beugte mich nach vorn
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