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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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Konzentrier du dich einfach darauf, mir ein paar Antworten zu beschaffen.«

    Frank hatte recht, ich glaube, am Anfang hatte ich die vier als eine geschlossene Einheit gesehen: die Hausgenossen, Schulter an Schulter, anmutig und untrennbar wie eine Gruppe auf einem Gemälde, und auf allen der gleiche, feine Lichthauch, wie der Glanz von altem, mit Bienenwachs behandeltem Holz. Erst im Verlauf der ersten Woche waren sie für mich real geworden, hatten sie sich als Individuen mit ihren eigenen kleinen Macken und Schwächen herauskristallisiert. Ich wusste, dass es Risse geben musste. So eine Freundschaft entsteht nicht einfach am Ende des Regenbogens im Weichzeichner-Hollywood-Dunst. Dass sie so lange und auf so engem Raum gehalten hatte, dazu war ein gehöriges Maß an Arbeit vonnöten. Jeder Eiskunstläufer oder Balletttänzer oder Turnierreiter, ja jeder, der davon lebt, Schönheit in Bewegung zu setzen, weiß: Nichts kostet so viel Arbeit wie Mühelosigkeit.
    Kleine Risse zunächst: verschwommen wie Nebel, nichts, worauf du den Finger legen konntest. Montagmorgen waren wir in der Küche beim Frühstück. Rafe hatte seinen üblichen Neandertaler-will-Kaffee-Auftritt hingelegt und war wieder verschwunden, um richtig wach zu werden. Justin schnitt seine Spiegeleier in säuberliche Streifen, Daniel aß Würstchen mit einer Hand, während er sich an den Rändern der Fotokopie eines altnordischen Textes Notizen machte, Abby blätterte in einer mehrere Tage alten Zeitung, die sie bei den Geisteswissenschaftlern gefunden hatte, und ich plauderte mit niemand Bestimmtem über nichts Besonderes. Ich hatte den Energiepegel peu à peu nach oben geschraubt. Das war schwieriger, als es klingt. Je mehr ich redete, desto mehr lief ich Gefahr, mich zu verplappern. Aber wenn ich diesen vier irgendetwas Brauchbares entlocken wollte, mussten sie in meinem Beisein entspannt sein, und das würde nur passieren, wenn alles wieder normal lief, und mit Lexie hatte es kaum eine stille Minute gegeben. Ich erzählte der Küche von den vier furchtbaren Studentinnen in meinem Tutorenkurs am Donnerstag, ein Thema, das ich für einigermaßen sicher hielt.
    »Meiner Meinung nach sind die in Wahrheit ein und dieselbe Person. Sie heißen alle Orla oder Fiona oder Aoife oder so, und sie näseln alle, als hätten sie sich die Nebenhöhlen wegoperieren lassen, und sie haben alle diese künstlich geglätteten, künstlich blondierten Haare, und nicht eine von ihnen war bisher auch nur einmal vorbereitet. Ich weiß nicht, was die überhaupt an der Uni wollen.«
    »Reiche Jungs kennenlernen«, sagte Abby, ohne aufzublicken.
    »Zumindest eine von ihnen ist fündig geworden. Sieht aus wie ein Rugby-Spieler. Letzte Woche nach dem Kurs hat er auf sie gewartet, und ich schwöre, als die vier Tussis aus dem Raum kamen, hat er ganz panisch geguckt und prompt der falschen die Hand hingehalten, ehe die richtige auf ihn zugehechtet ist. Der kann sie auch nicht auseinanderhalten.«
    »Da geht’s aber jemandem schon wieder deutlich besser«, sagte Daniel und lächelte mich an.
    »Quasselstrippe«, sagte Justin und legte noch eine Scheibe Toast auf meinen Teller. »Nur aus Neugier, bist du je im Leben länger als fünf Minuten an einem Stück still gewesen?«
    »Und ob. Ich hatte mal eine Kehlkopfentzündung, als ich neun war, und da hab ich fünf Tage lang kein einziges Wort rausgebracht. Das war die Hölle. Andauernd kriegte ich Hühnersuppe und Comic-Heftchen und langweiligen Kram gebracht, und ich hab immer nur beteuert, dass ich mich völlig gesund fühlte und aufstehen wollte, aber es hieß jedes Mal, ich sollte still sein und meinen Hals schonen. Als ihr klein wart, habt ihr da schon mal –«
    »Mist«, sagte Abby plötzlich und blickte von ihrer Zeitung auf. »Die Kirschen. Die sind gestern abgelaufen. Hat einer noch Hunger? Wir könnten sie in Pfannkuchen tun oder so.«
    »Ich hab noch nie von Kirschpfannkuchen gehört«, sagte Justin. »Klingt widerlich.«
    »Wieso? Es gibt ja auch Blaubeerpfannkuchen –«
    »Und Kirschtorte«, warf ich mit vollem Mund ein und kaute auf einem Bissen Toast.
    »Das ist was anderes«, sagte Daniel. »Dazu nimmt man Kirschen aus dem Glas. Die sind –«
    »Probieren wir’s einfach. Die Kirschen haben ein Vermögen gekostet. Die lass ich auf keinen Fall vergammeln.«
    »Ich esse alles«, sagte ich hilfsbereit. »Auch Kirschpfannkuchen.«
    »Nee, Leute, bitte nicht«, sagte Justin mit einem kleinen Ekelschaudern. »Lasst uns die

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