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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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wusste es gleich, als ich es ausgesprochen hatte. Der Ausdruck in ihren Augen: Sie war zu klein, um das zu hören. Es hat ihr einen Knacks verpasst. Wenn sie zwei, drei Jahre älter gewesen wäre, hätte sie sich vielleicht berappelt. Aber sie hat sich verändert, danach. Nichts, was man genau hätte benennen können. Sie war nach wie vor ein wunderbares, braves Kind, war fleißig in der Schule und so, gab keine Widerworte. Kümmerte sich um den Haushalt – so ein schmächtiges Mädchen, stand am Herd, der größer war als sie, und kochte Rindseintopf, genau wie ihre Mutter immer. Aber ich hab nie wieder erfahren, was in ihrem Kopf vor sich ging.«
    In den Sprechpausen rauschten die statischen Störungen in meinem Ohr, ein unaufhörliches dumpfes Murmeln wie bei einer Muschel. Ich wünschte, ich hätte mehr über Australien gewusst. Ich dachte an rote Erde und Sonne, die einen traf wie ein Schrei, gekrümmte Pflanzen, so unverwüstlich, dass sie Leben aus dem Nichts saugten, unermessliche Weiten, die einen schwindelig machten, vollkommen verschluckten.
    Mit zehn war sie zum ersten Mal weggelaufen. Schon nach wenigen Stunden wurde sie gefunden, am Straßenrand, das Wasser war ihr ausgegangen, und sie weinte vor Wut, doch im nächsten Jahr und dem darauf probierte sie es erneut. Jedes Mal schaffte sie es ein kleines Stück weiter. In der Zeit dazwischen erwähnte sie ihre Ausreißversuche mit keinem Wort, starrte ihn bloß mit ausdrucksloser Miene an, wenn er sie darauf ansprach. Er wusste nie, wann er morgens aufwachen und feststellen würde, dass sie fort war. Er deckte sich im Sommer nachts warm zu und im Winter gar nicht, damit er einen leichteren Schlaf hatte und hoffentlich wach wurde, falls eine Tür klickte.
    »Mit sechzehn hat sie es dann geschafft«, sagte er, und ich hörte ihn schlucken. »Hat dreihundert Dollar geklaut, die ich unter der Matratze liegen hatte, und einen Landrover von der Farm. An allen anderen Wagen hat sie die Luft aus den Reifen gelassen, damit wir nicht so schnell hinter ihr herkonnten. Sie ist in die Stadt gefahren, hat den Landrover an der Tankstelle stehen lassen und sich von einem Trucker, der in Richtung Osten fuhr, mitnehmen lassen. Die Polizei meinte, sie würden tun, was sie können, aber wenn sie nicht gefunden werden wollte … Australien ist groß.«
    Er hatte vier Monate nichts von ihr gehört, sah sie in seinen Träumen irgendwo aus dem Auto geworfen im Straßengraben, von Dingos aufgefressen, unter einem riesigen roten Mond. Dann, am Tag vor seinem Geburtstag, bekam er eine Karte.
    »Moment«, sagte er. Rascheln, ein dumpfes Geräusch, als wäre etwas heruntergefallen, Hundegebell, irgendwo weit weg. »Ich hab’s. Also: ›Lieber Dad, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Mir geht’s gut. Ich habe einen Job, und ich habe gute Freunde. Ich komme nicht zurück, aber ich wollte mich mal melden. Alles Liebe, Grace. PS: Keine Bange, ich geh nicht auf den Strich.‹« Er lachte, wieder dieses raue kurze Atmen. »Ganz schöne Marke, was? Und sie hatte recht, wissen Sie, das hatte ich tatsächlich befürchtet – hübsches Mädchen ohne Ausbildung … Aber sie hätte das nicht extra geschrieben, wenn es nicht wahr gewesen wäre. Nicht Gracie.«
    Die Karte war in Sydney abgestempelt. Er hatte alles stehen- und liegenlassen, war zum nächsten Flugplatz gefahren und mit der Postmaschine nach Sydney geflogen, wo er fotokopierte Handzettel an Laternenpfähle klebte, Wer hat dieses Mädchen gesehen? Niemand meldete sich. Die Karte im nächsten Jahr war aus Neuseeland gekommen: »Lieber Dad. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Bitte hör auf, nach mir zu suchen. Ich musste wegziehen, weil ich ein Plakat von mir gesehen habe. Mir geht’s gut, also lass es bleiben. Alles Liebe, Grace. PS: Ich lebe nicht in Wellington, ich bin bloß hergefahren, um die Karte einzuwerfen, also spar dir die Mühe.«
    Er hatte keinen Reisepass, wusste nicht mal, wo und wie man einen beantragte. Bis zu Grace’ achtzehntem Geburtstag waren es nur noch wenige Wochen, und die Polizei in Wellington wies ihn vernünftigerweise darauf hin, dass sie eine gesunde Erwachsene nicht daran hindern konnten, von zu Hause auszuziehen. Es waren noch zwei weitere Karten von dort gekommen – sie hatte sich einen Hund und eine Gitarre zugelegt – und dann, 1996, eine aus San Francisco. »Sie hat es also schließlich nach Amerika geschafft«, sagte er. »Weiß der Teufel, wie sie das angestellt hat. Ich schätze,

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