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Totengrund

Totengrund

Titel: Totengrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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sei Ihre Freundin gewesen?«
    Doch Cathy schien Jane gar nicht zu hören; sie starrte Jeremiah unverwandt an. »Diesmal ist es das Ende«, sagte Cathy leise.
    »Das Ende?« Er schüttelte den Kopf. »Nein, Katie, das hier macht uns nur noch stärker. In den Augen der Öffentlichkeit bin ich ein Märtyrer.« Er betrachtete ihr vom Wind zerzaustes Haar, ihr hageres Gesicht, und der Blick, mit dem er sie musterte, war beinahe mitleidig. »Wie ich sehe, ist die Welt nicht gut zu dir gewesen. Wie schade – du hättest uns nie verlassen sollen.« Er lächelte, als er sich zum Gehen wandte. »Aber wir müssen alle unseren Weg gehen.«
    »Jeremiah!« Cathy trat plötzlich hinter ihn, die Arme vor dem Körper ausgestreckt. Da erst sah Jane, was sie mit beiden Händen gepackt hielt.
    »Cathy, nein!«, schrie Jane. In Sekundenschnelle hatte sie ihre eigene Waffe gezogen. »Fallen lassen! Lassen Sie die Waffe fallen, Cathy!«
    Jeremiah drehte sich um und betrachtete seelenruhig die Waffe, die auf seine Brust gerichtet war. Falls er überhaupt so etwas wie Angst empfand, ließ er sich nichts anmerken. Untermalt vom Pochen ihres eigenen Herzens, hörte Jane erschrockene Rufe und hektische Schritte, als die Gemeindemitglieder sich hastig in Deckung brachten. Sie hatte keinen Zweifel, dass in diesem Moment mindestens ein Dutzend Polizeiwaffen auf die Frau gerichtet waren. Aber Janes Blick blieb an Cathy haften. An den Händen, rissig und wund von Kälte und Wind, die jetzt die Pistole umklammert hielten. Es hätte nur einer der Polizisten im Saal abdrücken müssen, doch niemand tat es. Die Vorstellung, diese Frau erschießen zu müssen, schien sie alle zu lähmen. Wir hätten nie gedacht, dass sie bewaffnet sein könnte. Warum auch?
    »Cathy, bitte«, sagte Jane ruhig. Sie stand der Frau am nächsten. Beinahe nahe genug, um ihr die Waffe abnehmen zu können, wenn Cathy sie denn hergegeben hätte. »Das ist doch keine Lösung.«
    »Doch. Ich mache dem Ganzen ein Ende.«
    »Dafür gibt es Gerichte.«
    » Gerichte? « Cathys Lachen klang bitter. »Die können ihm nichts anhaben. Das haben sie noch nie gekonnt.« Ihre Finger schlossen sich noch fester um den Griff, der Lauf hob sich ein Stück, doch Jeremiah zuckte nicht einmal. Seine Miene war immer noch gelassen, ja beinahe amüsiert.
    »Seht ihr, meine Freunde«, rief er. »Das ist es, womit wir uns auseinandersetzen müssen. Irrationale Wut und blanker Hass.« Er schüttelte betrübt den Kopf und sah Cathy an. »Ich denke, es ist allen hier klar, dass du Hilfe brauchst, Katie. Ich empfinde nur Liebe für dich. Das ist alles, was ich je empfunden habe.« Wieder wandte er sich zum Gehen.
    »Liebe?«, flüsterte Cathy. » Liebe? «
    Jane sah, wie die Sehnen in Cathys Handgelenk sich plötzlich strafften. Sie sah, wie die Finger der Frau sich anspannten, doch ihre eigenen Reflexe versagten ihr den Dienst. Ihre Finger schienen an ihrer Waffe festgefroren.
    Die Kugel aus Cathys Pistole traf Jeremiah in den Rücken. Er wurde nach vorn geworfen und fiel auf die Knie.
    Das Dauerfeuer aus Dutzenden von Waffen ließ den Saal erbeben. Cathys Körper zuckte in einem grotesken Tanz, als ein Hagel von Polizeikugeln in ihr Fleisch schlug. Ihre Waffe fiel krachend zu Boden, sie brach zusammen und blieb mit dem Gesicht nach unten neben Jeremiah Goodes Leiche liegen.
    »Feuer einstellen!«, rief MacAfee.
    Noch zwei letzte, stotternde Schüsse, dann war alles still.
    Jane ließ sich neben Cathy auf die Knie fallen. Aus der Gemeinde erhob sich das Wehgeschrei einer Frau, ein hoher, unheimlicher Klagelaut, der kaum noch menschlich wirkte. Jetzt fielen andere ein, ein Chor von kreischenden Stimmen, der sich bald zu einem ohrenbetäubenden Tosen steigerte, als Hunderte von Kehlen ihren Schmerz um ihren gefallenen Propheten hinausschrien. Niemand trauerte um Cathy Weiss. Nur Jane, die auf dem blutbefleckten Boden kniete, beugte sich über sie, um der Frau in die Augen zu schauen. Nur sie sah, wie das Licht in diesen Augen erlosch, als die Seele entfloh.
    »Mörderin!«, schrie jemand. »Sie ist ein Judas!«
    Janes Blick fiel auf den Leichnam von Jeremiah Goode. Noch im Tod lag ein Lächeln auf seinen Lippen.

36
    »Ihr Geburtsname lautete Katie Sheldon«, sagte Jane zu Maura auf der Fahrt nach Jackson. »Mit dreizehn wurde sie eine von Jeremiahs sogenannten Seelenbräuten; es wurde von ihr erwartet, dass sie sich voll und ganz seinen Wünschen unterwarf. Sechs Jahre lang war sie sein Eigentum. Aber

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