Totengrund
alle gleichzeitig und wandten sich zu den Fremden um. »Willkommen!«, hallte der Gruß im Chor. Alle Gesichter sahen wie frisch geschrubbt aus, mit rosig glänzenden Wangen, alle blickten sie mit großen, unschuldigen Augen. Frisch, gesund und natürlich , das war das Bild, das sie vermittelten, das Bild einer zufriedenen Gemeinde, geeint durch ein gemeinsames Ziel.
Dann nahmen sie alle zugleich wieder Platz. Die Bewegung, die Dutzende von Bänken gleichzeitig knarren ließ, wirkte auf unheimliche Weise choreografiert.
Lieutenant MacAfee rief: »Jeremiah Goode?«
Der Mann auf dem Podium nickte ernst. »Ich bin Jeremiah.«
»Ich bin Lieutenant David MacAfee von der Idaho State Police. Würden Sie bitte mit uns kommen, Sir?«
»Dürfte ich Sie fragen, wozu dieser waffenstarrende Aufmarsch nötig ist? Zumal jetzt, in der Stunde unseres großen Schmerzes?«
»Schmerz, Mr. Goode?«
»Deswegen sind Sie doch hier, nicht wahr? Wegen der Gräueltaten, die an unseren armen Brüdern und Schwestern in Kingdom Come verübt wurden?« Mit ernster Miene blickte Jeremiah seine Gemeinde an. »Ja, Freunde, wir wissen es, nicht wahr? Die Nachricht erreichte uns gestern, die furchtbare Nachricht von dem, was unseren Anhängern angetan wurde. Und alles nur, weil sie waren, was sie waren, und glaubten, was sie glaubten.«
Die Zuhörer reagierten mit betrübtem Nicken und zustimmendem Gemurmel.
»Mr. Goode«, sagte MacAfee, »ich fordere Sie noch einmal auf, mit uns zu kommen.«
»Warum?«
»Um einige Fragen zu beantworten.«
»Dann stellen Sie Ihre Fragen hier und jetzt, damit alle zuhören können.« Jeremiah wandte sich an seine Anhänger und breitete in einer dramatischen Geste die Arme aus. Es war großes Theater, und er spielte die Hauptrolle, wie er dort oben auf dem Podium stand, über sich die hoch aufragenden Gewölbebogen der Halle, sein Gesicht erhellt vom ersten Morgenlicht, das durch das Fenster fiel. »Ich habe keine Geheimnisse vor dieser Gemeinde.«
»Das ist keine Sache für ein öffentliches Forum. Es geht hier um eine kriminalpolizeiliche Ermittlung.«
»Glauben Sie etwa, das sei mir nicht klar?« Der Blick, mit dem Jeremiah ihn fixierte, war wie ein Feuerstrahl. »Unsere Anhänger wurden dort in dem Tal ermordet. Abgeschlachtet wie Schafe, ihre Leichen auf dem Feld verscharrt, wo wilde Tiere sich über sie hermachten!«
»Ist es das, was Sie gehört haben?«
»Ist es denn nicht die Wahrheit? Dass einundvierzig gute Menschen, darunter Frauen und Kinder, wegen ihres Glaubens den Märtyrertod sterben mussten? Und jetzt kommen Sie hierher, von uns eingeladen in unseren Kreis, und bringen Ihre bewaffneten Männer mit und Ihre Verachtung für all diejenigen, die nicht glauben, was Sie glauben.«
MacAfee trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. In der warmen Luft, die den Saal erfüllte, glitzerten Schweißperlen auf seiner Stirn. »Ich sage es noch ein letztes Mal, Mr. Goode. Entweder kommen Sie freiwillig mit uns, oder wir sind gezwungen, Sie festzunehmen.«
»Ich bin ja bereit, Ihre Fragen zu beantworten! Aber Sie sollen sie hier und jetzt stellen, wo diese guten Menschen Sie hören können. Oder haben Sie Angst davor, dass die ganze Welt die Wahrheit erfahren könnte?« Er sah seine Anhänger an. »Meine Freunde, ihr seid mein Schutz und Schild. Ich rufe euch auf, Zeugnis abzulegen.«
Ein Mann aus der Gemeinde erhob sich und rief: »Wovor hat die Polizei Angst? Stellen Sie Ihre Fragen, damit wir sie auch hören können!«
Die Menge stimmte ein: »Ja, fragen Sie jetzt!«
»Befragen Sie ihn hier!«
Die Bänke knarrten, als Unruhe die Gemeinde erfasste und weitere Männer aufstanden. Die Polizeibeamten blickten sich nervös im Saal um.
»Dann weigern Sie sich also, mit uns zu kooperieren?«, sagte MacAfee.
»Durchaus nicht. Aber wenn Sie gekommen sind, um Fragen zu Kingdom Come zu stellen, kann ich Ihnen nicht helfen.«
»Das nennen Sie kooperieren?«
»Ich habe keine Antworten für Sie. Weil ich nicht dabei war, als es passierte.«
»Wann waren Sie das letzte Mal in Kingdom Come?«
»Im Oktober. Als ich dort abreiste, hinterließ ich eine blühende Gemeinde. Sie hatten reichlich Vorräte für den Winter angelegt, und sie hoben schon die Fundamente für sechs neue Häuser aus. Das war das letzte Mal, dass ich das Tal gesehen habe.« Seine Blicke forderten seine Anhänger auf, ihn zu bestätigen. »Sage ich die Wahrheit? Ist hier irgendjemand, der mir widersprechen würde?«
Dutzende
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