Totengrund
Durchsuchungsbeschluss für diese Siedlung.«
»Das ist nicht nötig«, antwortete der Mann mit den Schlüsseln. »Sie dürfen gerne eintreten. Sie alle.« Er zog das Tor weit auf.
MacAfee schielte verunsichert nach seinen Kollegen. Auf diesen Empfang war er offensichtlich nicht vorbereitet gewesen.
Der Sprecher bedeutete den Besuchern, näher zu treten. »Wir haben uns im Gemeindesaal versammelt; dort ist Platz für alle. Wir bitten Sie nur darum, Ihre Waffen stecken zu lassen, im Interesse der Sicherheit unserer Frauen und Kinder.« Er breitete die Arme weit aus, als wollte er die ganze Welt einladen. »Bitte, leisten Sie uns Gesellschaft. Sie werden sehen, dass wir nichts zu verbergen haben.«
»Sie haben es gewusst«, murmelte Cathy. »Verdammt noch mal, sie haben gewusst , dass wir kommen. Sie sind darauf vorbereitet.«
»Wie haben sie davon erfahren?«, fragte Jane.
»Er kann alles kaufen. Augen, Ohren. Hier einen Cop, dort einen Politiker.« Sie sah Jane an. »Merken Sie jetzt, was das Problem ist? Wird Ihnen jetzt klar, warum er sich nie vor Gericht wird verantworten müssen?«
»Kein Mensch ist unangreifbar, Cathy.«
» Er ist es. Er war es immer schon.« Cathys Blick ging wieder zu dem offenen Tor zurück. Das Einsatzteam hatte schon die eingefriedete Siedlung betreten, und die Gestalten waren im Schneetreiben kaum noch auszumachen. Jane hörte den Funkverkehr mit, und sie vernahm ruhige Stimmen, sachliche Antworten.
»Erstes Gebäude überprüft, alles klar …«
»Alles klar in Nummer drei.«
Cathy schüttelte den Kopf. »Er wird sie auch diesmal überlisten«, sagte sie. »Sie wissen nicht, wonach sie suchen müssen. Sie sehen es nicht, und wenn sie mit der Nase daraufgestoßen werden.«
»Keine Waffen. Alles klar …«
Cathy starrte zu den weit entfernten Gestalten hinüber, die jetzt kaum mehr als geisterhafte Silhouetten waren. Ohne ein weiteres Wort trat auch sie durch das offene Tor.
Jane folgte ihr.
Sie schritten zwischen Reihen von Häusern dahin, die still und dunkel dastanden, und folgten den Fußstapfen des Einsatzteams. Vor ihnen sah Jane warmen gelben Kerzenschein in den Fenstern des Gemeindesaals schimmern, und sie hörte Musik, den Klang vieler Stimmen, die sich zum Gesang erhoben. Es war ein Choral von geradezu überirdischer, ätherischer Schönheit, gesungen von lieblichen Kinderstimmen. Der Geruch von Holzrauch, die Verheißung von Wärme und der Gesellschaft anderer Menschen, zog Jane und Cathy zu dem Gebäude hin.
Sie traten durch die Tür des Gemeindesaals.
Die hohe, weite Halle war von zahllosen Kerzen erleuchtet. Hunderte von Gemeindemitgliedern füllten die glänzenden Holzbänke. Auf der einen Seite saßen die Frauen und Mädchen, ein einziges Meer von pastellfarbenen Kleidern. Auf der anderen die Männer und Knaben, bekleidet mit weißen Hemden und dunklen Hosen. Ein Dutzend Polizeibeamte standen am hinteren Ende des Saals beisammen und blickten nervös umher, offenbar unschlüssig über ihr weiteres Vorgehen in diesem Raum, der offensichtlich eine Art Gotteshaus war.
Der Gesang endete, und die letzten ergreifenden Töne verhallten. In der folgenden Stille betrat ein dunkelhaariger Mann das Podium und ließ den Blick ruhig über seine Gemeinde schweifen. Er trug kein Priestergewand, keine bestickte Stola, keinen Schmuck, der ihn als etwas Besonderes hervorgehoben hätte. Nein, er stand vor seinen Anhängern in genau den gleichen Kleidern wie sie, nur dass die Ärmel seines weißen Hemds hochgekrempelt waren, als ob er sich anschickte, sein Tagwerk anzupacken. Er brauchte keine Kostümierung, keinen auffälligen Glitter und Tand, um die Aufmerksamkeit der Menge zu fesseln. Sein Blick allein, so durchdringend wie Röntgenstrahlen, zog unweigerlich jedes Augenpaar im Saal auf sich.
Das ist also Jeremiah Goode, dachte Jane. Obwohl sein Haar, das ihm bis auf die Schultern fiel, schon mit Silberfäden durchsetzt war, wirkte es noch wie die üppige Löwenmähne eines jungen Mannes. An diesem düsteren Wintertag schien seine Gegenwart eine Glut auszustrahlen, so heiß wie die Flammen, die in dem riesigen gemauerten Kamin des Saals loderten. Schweigend ließ er den Blick über die Zuschauer wandern, bis er schließlich an den Polizeibeamten haften blieb, die am anderen Ende des Saals standen.
»Liebe Freunde, wir wollen uns erheben, um unsere Besucher willkommen zu heißen«, sagte er.
Als wären sie ein einziger Organismus, erhoben sich die Mitglieder der Gemeinde
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