Totengrund
etwas gesehen. Es hat vielleicht nichts zu bedeuten, aber vielleicht auch alles.«
»Na, das beantwortet meine Frage ja erschöpfend.«
Maura warf noch eine Schaufel voll Schnee beiseite. »Ich habe es nur ganz kurz zu Gesicht bekommen. Aber wenn es das ist, wofür ich es halte …« Plötzlich stieß die Schaufel auf etwas Festes. Etwas, das ein gedämpftes Scheppern von sich gab. »Das könnte es sein.« Sie kniete sich hin und begann, mit ihren behandschuhten Händen im Schnee zu scharren.
Nach und nach kam etwas Glattes, Rundes zum Vorschein. Es gelang Maura nicht, den Gegenstand herauszuziehen, der an dem Schuttberg darunter festgefroren war. Sie schaufelte immer mehr Schnee beiseite, doch immer noch war die untere Hälfte des Objekts im Schnee vergraben und von einer Eisschicht umschlossen. Was sie freigelegt hatte, war ein Ende eines grauen Metallzylinders. Er war mit zwei farbigen Ringen markiert, einer grün, der andere gelb. In das Metall war ein Code eingeprägt: D568.
»Was ist das für ein Ding?«, fragte Jane.
Maura antwortete nicht. Sie kratzte weiter Schnee und Eis weg, legte immer mehr von dem Zylinder frei. Jane kniete sich neben sie, um ihr zu helfen. Weitere Zahlen erschienen, aufgeprägt in grüner Farbe.
2011-42-114
155H
M12TAT
»Hast du eine Ahnung, was diese Zahlen bedeuten?«, fragte Jane.
»Ich nehme an, es sind irgendwelche Seriennummern.«
»Wovon?«
Plötzlich brach ein Placken Eis ab, und Maura starrte die aufschablonierten Buchstaben an, die darunter zum Vorschein kamen.
VX-GAS
Jane runzelte die Stirn. »VX – ist das nicht ein Nervengas?«
»Ganz genau«, sagte Maura leise und sank wie benommen auf ihre Fersen zurück. Ihr Blick ging über die Lichtung zu dem Bagger. Die Siedler hatten sich diesen Platz ausgesucht, um neue Häuser zu errichten. Sie hatten die Bäume gefällt und die Fundamente ausgehoben. Hatten alles vorbereitet für die neuen Familien, die nach Kingdom Come ziehen würden.
Hatten sie gewusst, dass eine Bombe in dieser Erde vergraben lag, in der Erde, die sie mit ihren Maschinen aushoben und umpflügten?
»Es war kein Pestizid, das diese Menschen umgebracht hat«, sagte Maura.
»Aber du hast doch gesagt, das klinische Bild sei eindeutig.«
»Das gilt genauso für VX-Nervengas. Es tötet auf exakt die gleiche Weise wie Phosphorsäureester. VX hemmt die gleichen Enzyme, verursacht die gleichen Symptome, aber die Wirkung ist weitaus stärker. Es ist ein chemischer Kampfstoff, der über die Atemluft verbreitet wird. Wenn das Zeug in einem tief liegenden Gebiet freigesetzt würde …« Maura sah Jane an. »Dann würde es dieses Tal in eine Todeszone verwandeln.«
Das Dröhnen eines Lastwagenmotors ließ sie beide aufspringen. Unser Wagen ist schon von Weitem zu sehen, dachte Maura. Wer immer da gerade angekommen ist, weiß schon, dass wir hier sind.
»Bist du bewaffnet?«, fragte Maura. »Bitte sag mir, dass du eine Waffe dabei hast.«
»Ich habe sie im Kofferraum eingeschlossen.«
»Du musst sie holen.«
»Was zum Teufel geht hier vor?«
» Das hier ist des Rätsels Lösung!« Maura deutete auf den halb ausgegrabenen VX-Gas-Behälter. »Keine Pestizide. Kein Massenselbstmord. Es war ein Unfall . Das da sind chemische Waffen. Sie hätten schon vor Jahrzehnten vernichtet werden sollen. Sie sind wahrscheinlich seit Jahren hier vergraben.«
»Dann hatte die Zusammenkunft … Jeremiah …«
»Er hatte nichts mit dem Tod dieser Menschen zu tun.«
Jane blickte sich auf der Lichtung um, und ihr wurde so einiges klar. »Die Dahlia Group – die Tarnfirma, über die Martineau bezahlt wurde –, die stecken dahinter, nicht wahr?«
Sie hörten das Knacken eines brechenden Zweigs.
» Versteck dich! «, zischte Maura.
Sie tauchten in den Wald ein, und einen Augenblick später betrat Montgomery Loftus die Lichtung. Er hatte ein Gewehr in der Hand, aber es war auf den Boden gerichtet, und er bewegte sich mit dem entspannten Schritt eines Jägers, der seine Beute noch nicht gesichtet hat. Sie hatten auf der ganzen Lichtung ihre Fußabdrücke hinterlassen, und er konnte diese Spuren ihrer Anwesenheit unmöglich übersehen. Er musste nur ihrer Fährte bis zu der Stelle folgen, wo sie beide sich unter den Kiefern verkrochen hatten. Doch er ignorierte das Offensichtliche und ging mit ruhigen Schritten auf das Loch zu, das Maura soeben gegraben hatte. Er sah auf den freigelegten Zylinder hinunter. Auf die Schaufel, die Maura daneben hatte liegen lassen.
»Wenn
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