Totengrund
man etwas dreißig Jahre lang in der Erde liegen lässt«, sagte er, »rostet es früher oder später durch. Das Metall wird brüchig. Dann muss nur noch jemand aus Versehen mit einem Bulldozer drüberfahren oder es beim Baggern gegen einen Felsen drücken, und es bricht auseinander.« Er hob die Stimme, als wären die Bäume selbst seine Zuhörer. »Was glauben Sie, was passieren würde, wenn ich jetzt eine Kugel in das Ding jagte?«
Da erst merkte Maura, dass sein Gewehr auf den Giftstoffbehälter zielte. Sie verharrte vollkommen reglos, aus Angst, sich durch ein Geräusch zu verraten. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Jane sich tiefer in den Wald hineinschlich, doch Maura selbst war wie gelähmt.
»VX-Gas tötet schnell«, sagte Loftus. »Das haben die von der Entsorgungsfirma mir vor dreißig Jahren gesagt, als sie mich dafür bezahlt haben, dass ich es hier verscharre. An einem kalten Tag wie heute dauert es vielleicht ein bisschen länger, bis es sich verteilt hat. Aber bei warmem Wetter breitet es sich verdammt schnell aus. Es wird vom Wind verweht und dringt durch offene Fenster in die Häuser ein.« Er hob sein Gewehr und zielte auf den Behälter.
Mauras Herz machte einen Satz. Ein Schuss aus dieser Waffe würde eine Giftgaswolke freisetzen, der sie niemals entkommen könnten. Genauso wenig wie die Bewohner von Kingdom Come an jenem ungewöhnlich warmen Novem bertag, als sie ihre Fenster geöffnet und die frische Luft eingeatmet hatten. Der Tod war hereingeweht und hatte seine Opfer rasend schnell dahingerafft: Kinder beim Spielen, Familien am Esstisch. Eine Frau auf der Treppe, die im Sterben die Stufen hinuntergefallen und blutend unten liegen geblieben war.
»Nicht!«, rief Maura. »Bitte, tun Sie das nicht.« Sie trat aus der Deckung der Bäume heraus. Wo Jane war, konnte sie nicht sehen; sie wusste nur, dass Loftus ihre Anwesenheit schon bemerkt hatte und dass sie seinen Kugeln ebenso wenig entkommen würde wie der Gaswolke. Aber das Gewehr war nicht auf sie gerichtet; es zielte nach wie vor auf den Behälter. »Das ist Selbstmord«, sagte sie.
Er sah sie mit einem ironischen Lächeln an. »Sie haben’s erfasst, Ma’am. Ich sehe keine Möglichkeit, wie diese Sache für mich noch gut ausgehen könnte. Jetzt nicht mehr. Immer noch besser so, als im Gefängnis zu schmoren.« Er sah zu den Ruinen von Kingdom Come hinüber. »Wenn sie mit der Untersuchung dieser Leichen fertig sind, werden sie wissen, was die Leute umgebracht hat. Sie werden in dieses Tal einfallen und alles noch einmal durchkämmen, und sie werden das finden, was besser unter der Erde geblieben wäre. Und dann wird es nicht mehr lange dauern, bis sie an meine Tür klopfen.« Er seufzte schwer. »Vor dreißig Jahren hätte ich nie gedacht …« Der Gewehrlauf sank noch weiter zu dem Behälter hinab.
»Sie können es wiedergutmachen, Mr. Loftus«, sagte Maura, bemüht, ihre Stimme ruhig und vernünftig klingen zu lassen. »Sie können der Polizei die Wahrheit sagen.«
»Die Wahrheit?« In seinem höhnischen Lachen lag Selbstekel. »Die Wahrheit ist, dass ich das gottverdammte Geld brauchte. Die Ranch brauchte es. Und die Firma brauchte eine Möglichkeit, das Zeug billig loszuwerden.«
»Indem sie dieses Tal in eine Giftmülldeponie verwandelte?«
»Wir sind diejenigen, die für die Herstellung dieser Waffen bezahlt haben. Sie und ich und jeder andere amerikanische Steuerzahler. Aber was machen Sie mit Chemiewaffen, wenn Sie sie nicht mehr gebrauchen können?«
»Sie hätten verbrannt werden müssen.«
»Sie glauben doch nicht, dass die Firma, die von der Regierung damit beauftragt wurde, diese hochmodernen Verbrennungsanlagen jemals gebaut hat? Es war billiger, den Dreck mit Lastwagen hierherzuschaffen und einfach zu vergraben.« Sein Blick schweifte über die Lichtung. »Damals war hier gar nichts, nur ein menschenleeres Tal und eine unbefestigte Straße. Ich hätte nie gedacht, dass hier eines Tages Familien leben würden. Sie hatten keine Ahnung, was da auf ihrem Land herumlag. Ein einziger Behälter hätte ausgereicht, um sie alle umzubringen.« Er sah wieder auf den Zylinder hinunter. »Als ich sie gefunden habe, war mein einziger Gedanke, wie ich diese ganzen Leichen verschwinden lassen könnte.«
»Also haben Sie sie vergraben.«
»Die Entsorgungsfirma hat ihre eigenen Leute geschickt. Aber dann ist der Schneesturm dazwischengekommen.«
Und dann sind wir auf der Bildfläche erschienen. Die unglückseligen Touristen, die
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