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Totenklage

Totenklage

Titel: Totenklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Bingham
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Briefe, forderte eine richterliche Überprüfung, beschwerte sich beim Gesundheitsministerium und machte sich auch sonst überall unbeliebt. Keine Ahnung, ob wir damit irgendwas erreichten. Auf jeden Fall war es ein Heidenspaß, der uns noch enger zusammengeschweißt hat.
    Jetzt, nach so vielen Jahren, muss ich allerdings gestehen, dass mir diese Ärzte durchaus etwas beigebracht haben: Konzepte und Techniken, die mir heute gute Dienste leisten.
    Antizipation. Ein gegenwärtiges Gefühl, das ein zukünftiges Ereignis betrifft.
    So geht es mir jetzt. Kribbelig, aufgeregt, nervös, angespannt. Ein Gefühl, das alle diese Eindrücke zu einer Einheit verschmelzen lässt, die mehr ist als die Summe ihrer Teile. Antizipation. Die empfinde ich gerade.
    Ich halte vor dem Haus meiner Eltern an, lege den Leerlauf ein, ziehe die Handbremse, schalte die Zündung aus und lausche dem sterbenden Motor. Ein, zwei, drei, vier, fünf. Aus, zwei, drei, vier, fünf. Und von vorne.
    Antizipation.

49
    » Ich hab nicht gekocht«, sagt Mam. » Du hast ja gesagt, dass du schon gegessen hast. Ich hab nur eine Kleinigkeit hergerichtet, damit du was zu knabbern hast.«
    Würstchen. Kartoffelsalat. Tomatensalat. Kopfsalat. Krautsalat. Salami. Schinken. Brötchen. Walisischer Ziegenkäse. Essiggurken. Bier in Flaschen, sogar alkoholfreies für mich. Nur eine Kleinigkeit.
    Dad sieht sich das Festmahl mit großen Augen an. Auf dem Weg in die Küche mussten wir stehen bleiben, um den » Die beste Mutter der Welt«-Pokal zu bewundern, der jetzt über der Küchentür steht und so aussieht, als würde er jeden Moment runterfallen. Ich sage Dad, wie schön er ist, dann schaue ich Mam an und verdrehe die Augen, um ihr zu zeigen, wie hässlich ich ihn finde. Ich gebe dem Pokal sechs Wochen. Drei Monate höchstens.
    Kay und Ant gesellen sich ebenfalls hinzu. Obwohl alle schon gegessen haben, ist Mam die Einzige, die sich nicht auf das Buffet stürzt. Dann holt Kay einen halben Schokoladenkuchen aus dem Kühlschrank, und Ant und sie machen sich darüber her, bis nur noch eine Ruine übrig ist. Alle reden nur über sich, und niemanden stört es, dass die anderen gar nicht richtig zuhören.
    » Mam, Dad, könnte ich mal mit euch reden?«, frage ich schließlich.
    Kay macht große Augen. Worum es auch immer geht – sie will dabei sein. Das ist privat, sage ich, wenn es dir nichts ausmacht. Es macht ihr was aus, aber nicht so viel, dass man sie nicht doch überreden kann, auf ihr Zimmer zu gehen und die nächsten zwei Stunden mit ihren Freundinnen über Handy, SMS und Internet zu kommunizieren.
    Bleiben nur noch Mam, Dad und ich in der Küche. Wir befinden uns nun auf unbekanntem sozioemotionalem Terrain, was Mams Instinkt etwas durcheinanderbringt. Für sie muss jeder Vorstoß in ein solches Territorium von Nahrungsmittelproduktion begleitet sein, doch da wir gerade ein zweites Abendessen eingenommen haben, kann sie schlecht ein weiteres Buffet hervorzaubern. Als Kompromiss macht sie Tee. Dad eilt davon, um Portwein, Whisky, Brandy, Cointreau und einen giftig aussehenden italienischen Likör zu holen, dessen Namen er nicht aussprechen kann, der ihm aber von einem italienischen Geschäftspartner mit den größten Versprechen, was seinen Alkoholgehalt angeht, überreicht wurde und den er jetzt unbedingt jemandem anbieten muss. Obwohl er weiß, dass ich so gut wie nie trinke, schenkt er mir trotzdem mit übertriebener Geste einen ein. Zumindest sind die Gläser hübsch.
    Irgendwann geht auch diese Unruhephase vorüber. Mam und ich teilen uns eine Kanne Kräutertee. Dad trinkt einfachen Schwarztee und ein Gläschen des italienischen Likörs dazu. Dad trinkt eigentlich kaum noch. Ant ist schon schlafen gegangen. Man kann ganz dumpf Kay in ihrem Zimmer reden hören. Die Küchenuhr tickt.
    » Mam. Dad.«
    Ich fange an und verstumme wieder. Ich will sie nicht dazu zwingen, es mir zu sagen. Ich will, dass sie aus eigenem Antrieb damit herausrücken. Aber irgendwie muss ich das Ganze ja anstoßen. Nur wie? Ich hole ein Foto aus dem Flur. Ein kürzlich aufgenommenes Familienbild in einem Silberrahmen. Mam, Dad, ich, Kay und Ant. Ich stelle es vor mir auf, sodass es meine Eltern sehen können und ich nicht.
    » Ich glaube, es ist Zeit, dass wir reinen Tisch machen. Ich bin bereit. Wirklich. Das wäre mir sehr wichtig.«
    Mam und Dad sehen sich an. Sie wirken besorgt, obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass sie wissen, wovon ich rede.
    Doch offensichtlich braucht es

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