Totenklage
jetzt.«
Brydon hört aufmerksam zu.
» Mich laust der Affe«, sagt er schließlich.
Ich nehme seinen Unterarm und beiße so fest hinein, dass Zahnspuren zu sehen sind. » Wenn man tot ist, kann man so was nicht spüren.«
» Aha. Und wie tot bist du heute so?«
Er beißt mir auch in den Arm. Sehr sanft.
Das, was zwischen uns stand, löst sich so vollkommen in Luft auf, dass ich nicht mal mehr genau weiß, was es eigentlich war. Brydons Miene hat sich um mindestens zwei Stufen aufgehellt. Ich fühle mich auch ganz anders, als hätte plötzlich die Schwerkraft nachgelassen.
Wir tun es nicht sofort. Und als wir es tun, ist es gut, weder überhastet noch unangemessen. Irgendwann kuscheln wir, aus dem Kuscheln wird ein Vorspiel, und das Vorspiel schließlich zu Sex. Wir. Haben. Sex.
Aber nicht auf dem Boden, sondern auf dem Sofa. Und auch nicht stumm und mit leidenschaftlichen Bissen, sondern zärtlich, innig und mit Hingabe. Es ist perfekt.
Ich habe die Wahrheit gesagt, und wir haben Sex.
Ich habe die Wahrheit über meine Krankheit gesagt, und wir liegen auf meinem Sofa und haben Sex.
Ich kann mein Glück gar nicht fassen.
Hinterher lachen wir und essen Fertiggerichte. Brydon trinkt Bier, und ich nippe winzige Schlucke aus seiner Dose. » Buzz«, sage ich und reibe meinen Kopf gegen seine nackte Brust. » Buzz, Buzz, Buzz.«
Er streichelt mir mit der freien Hand über Kopf und Nacken. Dann versucht er, ein Rülpsen zu unterdrücken. » Pardon.«
Eine halbe Stunde vergeht mit größtenteils wortlosem Gekuschel. Brydon ist überaus nett zu mir, aber ich spüre auch, dass ihn das Cotard-Syndrom verwirrt. Das kann ich ihm nicht vorwerfen. Jeder würde wohl so reagieren. Es ist eine ernste Sache. Und wahrscheinlich ist es auch kein großer Trost, wenn er sich daran erinnert, dass seine neue Freundin vor zwei Tagen einen Mann erschossen und drei weitere übel zugerichtet hat. Nicht gerade klassisch feminine Eigenschaften.
» Buzz«, sage ich, » vielleicht solltest du jetzt nach Hause fahren. Dir Zeit nehmen, über alles nachdenken. Ich weiß, dass das alles nicht so einfach ist. Das wäre schon in Ordnung.«
Er will protestieren, doch ich unterbreche ihn, und schon bald begreift er, dass ich recht habe.
Ich begleite ihn zur Tür.
Eine Sache wollte ich ihm noch sagen. Fast hätte ich es an der Eingangstür gesagt, aber ich warte ab. Erst als er im Auto sitzt und mir zuwinkt und dann die Straße runterfährt und nicht mehr zu sehen ist, erlaube ich mir, es zu sagen.
» Ach so, mein lieber Buzz, da wäre noch was. Es ist gut möglich, dass ich gerade dabei bin, mich in dich zu verlieben.«
Das klingt so gut, dass ich es wiederhole.
» Ich bin dabei, mich in dich zu verlieben.« Das sind wohl die schönsten Worte, die auf dem Planeten der normalen Menschen zu hören sind.
48
Meine To-do-Liste ist fast abgearbeitet. Aber noch nicht ganz. Ein Anruf fehlt noch.
Also rufe ich an. Mam und Dad sind zu Hause. Ich sage Mam dreimal, dass ich schon gegessen habe, dann fahre ich los.
Komisches Gefühl. Obwohl ich in den letzten Wochen seltsame Gefühle in allen möglichen Variationen hatte, ist das neu. Antizipation. So hätten es zumindest die Psychiater auf ihrer Liste der Gefühle genannt. Antizipation, Fiona. Eine Erwartungshaltung. Sie denken an ein zukünftiges Ereignis, von dem Sie noch nicht sicher sind, wie es ausgehen wird. Es gibt eine Bandbreite möglicher Ergebnisse. Manche sind gut, manche schlecht, manche gemischt. Das Gefühl, das man mit diesem Zustand verbindet, nennt man » Antizipation«.
Antizipation, Herr Doktor. Ich glaube, ich hab’s kapiert. Vielleicht sollte ich es noch mal in eigenen Worten zusammenfassen, damit es auch richtig sitzt?
Natürlich, Fiona. Tun Sie sich keinen Zwang an. Der Doktor wirft der Krankenschwester einen begeisterten Blick zu.
Also gut, Herr Doktor, mal sehen. Seit mehr oder weniger drei Wochen arbeite ich an einem Fall, bei dem einem sechsjährigen Mädchen mit einem riesigen Keramikspülbecken der Schädel zertrümmert wurde. Es war ein richtig großes Spülbecken, vielleicht haben Sie ja auch so was zu Hause. Ziemlich rustikal. Teuer. Egal. Der obere Teil des Kopfes wurde durch diese wuchtige Armatur völlig zerstört, sodass nur der kleine Mund des Mädchens übrig blieb. Und der hat mich angelächelt. Drei Wochen lang. Ich hatte Bilder des Mädchens an meinen Wänden und als Bildschirmschoner. Man könnte sagen, dass die Kleine mich heimgesucht hat. Aber auf
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