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Totenkuss: Thriller

Totenkuss: Thriller

Titel: Totenkuss: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uta-Maria Heim
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Muhen der Kühe. Das Moos im Wald
war grüner als sonst und alle Vögel fragten durcheinander. Auf dem Weg lagen
flaumige Ballen von Hasenfell, und du folgtest ihnen wie bei einer
Schnitzeljagd. Die Luft roch rein und leicht nach Blut, als ob etwas passieren
musste, aber alle Wildtiere hatten sich zurückgezogen. Da hattest du wieder den
Eindruck, wie aus dem Traum: Du bist nicht allein. Das machte dich blindwütig,
trotzig, schließlich warst du deshalb hierhergekommen. Du wolltest deine
feierliche Waldesruh, denn du warst 14 und wolltest dich erheben über den
kläglichen Rest. Es war kein glücklicher Versuch und du hast gespürt, in dir
wütet der Jähzorn. Er konnte nicht heraus und überhaupt warst du sprachlos. Du hättest
gern etwas zerstört. Was Wesentliches hat dir gefehlt. Daheim konntest du mit
niemandem sprechen, du hattest keine Freunde, du warst ein Sonderling, ein
Außenseiter, ein Einzelgänger und Tagdieb schlechthin. Von Hermann Hesse hast
du erfahren, dass das Sich-Fortstehlen ertragreich sein konnte. Durch das
mönchische Getue konnte man sich Gewicht verschaffen. Doch dich haben nicht die
Anstalten interessiert, die Mauern und Winkel, sondern du lebtest im Offenen.
Das Hochmoor, an dem du entlangliefst, war gefährlich. Dort gab es Moorlöcher.
Man konnte darin versinken. Du hattest es selber erlebt. Du liefst am Sulgen
vorbei in eine Mulde hinunter, das Staighäusle hinab, dort wäre einmal eine
Schrambergerin beinahe im Schlamm erstickt. Sie trat neben den Weg und konnte
sich aus eigener Kraft nicht mehr aus dem Sumpfloch befreien. Sie schrie und
schrie um Hilfe und wurde erhört. Du warst noch ziemlich klein, dein Opa und
dein Onkel Hugo hauten im Wald Bäume. Sie gruben die Städterin mit dem Spaten
wieder aus, da war sie schon über beide Hüften eingesackt. Sie wäre
untergegangen.
    Du stelltest dir vor, sie wäre jetzt im Wald, und sie
käme dir aus dem dunklen Reisig entgegen. Ihre Haare wären etwas unordentlich
und an den Seiten verfilzt, wie nach einer Nacht am Lagerfeuer; an der Wange
zeichneten sich Ruß und der Reißverschluss des Schlafsacks ab, aber sie trüge
schon wieder ein zu leichtes Kleid; ein indisches, veilchenblau, durchsichtig
mit stabilen Kordeln wie Gardinenschnüre. Die Schnüre lüden ein, sie oben am Hals
ein klein wenig zu fest zuzuziehen, als ob man das Mädchen dadurch vor der
Kälte schützen könnte. Sie wäre barfuß, mit lila lackierten Fußnägeln und
blaugefrorenen Zehen. Du sprängest über eine sumpfige Wasserlache und
strecktest die Hand aus. »Hier gibt es Moorlöcher«, riefest du. »Eine ganze
Menge. Oder was denkst du, warum der Sulgen so heißt. Sulgen, das kommt von
Suhle, Schlamm.«
    Sie stünde genau vor so einem Moorloch, und es wäre ihr
unmöglich, es ohne deine Hilfe zu überwinden. Du würdest ihr erzählen, was die
Städterin erlitten hätte, wären dein Opa und Onkel Hugo nicht gekommen. Sie
verschränkte die Arme über der Brust und ließe sich nicht helfen. Helle Härchen
zeichneten sich ab an ihren blaugefrorenen Unterarmen. Sie hätte Gänsehaut.
Unter dem Kleid trüge sie nichts und sie schlotterte. Spitze violette
Brustwarzen zeichneten sich ab unter dem dünnen Baumwollstoff, der zumals [1] zu einem Leichentuch würde, als sie strauchelte und zu Boden fiele, auf einen
Teppich aus Tannennadeln und Licht. Du beugtest dich über sie, über den
schwärzlichen Hügel ihrer Scham, doch das Loch täte sich nicht auf.
    »Ob du’s glaubst oder nicht, immer wieder sind arme Leute
verschwunden, wenn sie in den Wald gegangen sind und Holz gesucht haben, und
erst als Opa und Onkel Hugo die Schreie der Schrambergerin gehört haben, wusste
man, was mit ihnen passiert war.« Du sprächest auf das Mädchen hinunter, das,
nunmehr nur noch halblebig, vor dir am Waldessaum ausgestreckt läge, als
spielte das eine Rolle. Der Lauf der Dinge wäre nicht aufzuhalten, nicht einmal
durch eine übergeordnete Macht.
    »Interessant«, sagt Petra, die tot im Dreck liegt,
sarkastisch. »Ich bin jedenfalls nicht im Boden versunken. Und der Täter wird
wohl kaum darauf gehofft haben.«
    Du winkst ab. »Ach was, vergiss es. Das sind nur so
Geschichten. In Wahrheit gab es nur vereinzelte Löcher, die nach dem Unfall
zugeschüttet wurden. Mit ganzen Lastern voll Kies. Der Rest hier ist
Sandstein.«

     

     

     
    Gefährlich ist das ewige Tadeln und Moralisiren,
was auf den kranken Geist ungefähr dieselbe

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