Totenkuss: Thriller
auch getötet worden.«
»Sauber. Des wär dann morgen, der Jahrestag. Das ist kein
Zufall, da hat der Hahnke ein Zeichen gesetzt, eine gezielte Provokation für
die Ermittler.« Stern räusperte sich. »Herr Fehrle, ich bräucht Ihre Hilf. Das
wird ein Katz- und Mausspiel. Und die Fahnder werdet mich jetzt hinzuziehe
wolle mit ama neue Gutachten …«
»Nein«, sagte Fehrle. »Da lass ich die Finger davon. Für Sie
riskiere ich kein Disziplinarverfahren.«
»Bitte. Dann ermitteln Sie halt ohne Akteneinsicht.«
»Woher wollen Sie denn wissen, dass ich das vorhab?«
»Weil Sie keine Ruhe geben, bis der Fall Petra Clauss
aufgeklärt ist.«
1984, 1994, 1999 und 2003. Diese Abfolge der mutmaßlichen und
nachgewiesenen Mordfälle erscheint plausibel, dachte Fehrle. Denn die Abstände
zwischen den Taten sind immer kürzer geworden. Fast dünkt es einen wie aus dem
Lehrbuch. Nacheinander ließ er sich die drei Fälle des Mantelmörders aus den
Jahren 1994, 1999 und 2003 durch den Kopf gehen.
Du bist ganz entspannt. Dein Körper atmet dich.
Dein Blut fließt, dein Herz schlägt ganz von selbst. Du brauchst nichts zu tun.
Du liegst hier und spürst, wie die Erde dich nach unten zieht. Du wirst schwer.
Du fühlst, wie dein Bewusstsein nach oben dringt. Wie es das Gehirn ganz
langsam verlässt. Jetzt bist du außerhalb deines Kopfes. Freude durchdringt
dich, als du erkennst: Du hast dir deinen Leib nur eingebildet. Du spürst, wie
du ihn hinter dir lässt. Ein helles Licht erfüllt dich. Alles ist erleuchtet.
Langsam steigst du auf, gleitest zum Himmel. Du kannst fliegen.
Fall 1: Am 1. August 1994 wurde am Alpsee in der
Nähe von Immenstadt die Leiche der 24-jährigen Köchin Roswitha Mayer gefunden.
Sie lag, zugedeckt mit einem langen khakifarbenen Trenchcoat, bäuchlings in der
Böschung unweit einer vielbefahrenen Durchgangsstraße und war nur mit dem
geblümten Bikini bekleidet, den sie getragen hatte, als sie beim Baden
plötzlich abgängig war. Sie hatte angekündigt, sie müsse kurz auf die Toilette.
Wie und wo sie in die Gewalt ihres Peinigers gekommen war, ließ sich nicht
feststellen. Sie hatte nach dem Verschwinden noch einige Stunden gelebt.
Nachdem der Unbekannte ihr zahlreiche Stichverletzungen zugefügt hatte, war sie
erdrosselt worden. Sowohl vor, als auch nach Eintritt des Todes hatte er sie
mehrfach missbraucht und geschändet. Spermareste wurden nicht festgestellt,
wohl aber Verletzungen im Genitalbereich. Da der Tod bereits eine Woche zuvor
eingetreten und die Leiche wegen der sommerlichen Hitze schon in die Verwesung
übergegangen war, konnten mit Ausnahme von Kunststofffasern, möglicherweise von
der Verkleidung eines Kofferraums, kaum noch Spuren sichergestellt werden.
Erschwerend kam hinzu, dass ein starker Regenguss etwaige Finger- oder
Schuhabdrücke des Täters weggespült hatte.
Fallanalytiker des Bundeskriminalamtes wurden
hinzugezogen, die folgende Hypothese aufstellten: Der Fundort war nicht der
Tatort, und die Tote war erst Stunden, bevor sie aufgefunden wurde, dort
abgelegt worden. Die unmittelbare Umgebung des Sees war zuvor mehrfach mit
Spürhunden abgesucht worden – ohne Ergebnis. Da Roswitha Mayer mit
ihren Eltern auf dem kleinen Campingplatz am Seeufer regelmäßig die Wochenenden
verbracht hatte, war sie in der Gegend bekannt. Dennoch ging man nach einer
sorgfältigen Überprüfung der Faktenlage und einer Einvernahme aller möglichen
Zeugen nicht von einer Beziehungstat aus, sondern von einem planenden Täter,
der allein mit dem Wagen durch die Gegend fuhr, bis er ein geeignetes Opfer
entdeckte. Dass Roswitha Mayer neben einer leichten geistigen Behinderung eine
motorische Beeinträchtigung aufwies, hatte ihm erleichtert, sie zu überreden
oder aber zu zwingen, in sein Auto zu steigen. Nach Aussagen der Familie und
anderer Bezugspersonen war sie nicht unbedingt bereit, sich freiwillig mit
Fremden einzulassen. Die Fallanalytiker nahmen an, dass es sich um keinen
Ersttäter handelte, da er sich entschlossen und kaltblütig gezeigt hatte und
ein hohes Risiko eingegangen war, um die Leiche am Fundort abzulegen. Die Tat
wurde als sexuell motiviert eingeschätzt, das Nachtatverhalten als
ritualisiert. Der Täter handelte dominant, rücksichtslos, kontrolliert und
sinnhaft. Möglicherweise wollte er durch das Bedeckungsritual und die leicht
einsehbare Lage des Fundorts Fürsorglichkeit und Reue demonstrieren;
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