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Totenkuss: Thriller

Totenkuss: Thriller

Titel: Totenkuss: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uta-Maria Heim
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Wirkung ausübt, wie das Reiben auf
ein entzündetes Auge. […] Ebenso nützt es nichts, sich herumzustreiten über die
verschiedenen Wahnideen, nachdem man diese kurz als falsch bezeichnet hat; mehr
wirkt oft eine freilich in aller Liebe angebrachte Ironie, die nicht selten den
Erfolg hat, dass der Kranke selbst seinen Wahn für lächerlich findet.
    Pfarrer Theodor Enderis,
    Die Seelsorge bei den Geisteskranken (3. Mai 1866)

     

     

     

Dienstag, 6. Mai
    # Besessenheit

     
    Nachdem Hermann Moser vor zwei Jahren mit dem
Trinken aufgehört hatte, war er mit seiner Familie von Stuttgart weggezogen. Er
schlug das Angebot eines mittelständischen Automobilunternehmers, mit dem er
befreundet war, aus, in seinem Zulieferbetrieb als Ingenieur eine leitende
Position einzunehmen. Er hatte keine Lust mehr, in einer morbiden und dem
Untergang preisgegebenen Klitsche Kugelgelenke für Spurstangen und Buchsen für
Scharniere zu entwickeln. Der Stress war ihm verleidet. Lieber wollte er in der
Toskana einen Neuanfang machen. Als der Sommer kam, hatten sie ihr Eigentum
verkauft, und Hermann hatte die Schulden abgezahlt. Seitdem lebten sie in einem
entlegenen Bauernhaus mit zweieinhalb Hektar Land, das der Familie der Frau
eines ehemaligen Nachbarn gehörte. Gernot und Gina hatten ihnen das Haus
geradezu aufgedrängt. Es hatte jahrelang leergestanden und sie bezahlten weder
Pacht noch Miete. Hermann renovierte nach und nach den gesamten Wohnbereich und
die Ställe. Margarete hielt ein paar Schafe und Hühner, sie ernährte die
Familie mit ihren Übersetzungen, und dann hatten sie ja noch seine Frührente.
Sie kamen gut über die Runden, wobei Elisa bisweilen darüber klagte, dass sie
keinen Freund und kein eigenes Leben hatte. Schließlich müsse es noch etwas
anderes geben als das Internet.
    Elisa Moser war mit 22 immer noch ein umsorgtes Einzelkind,
das gegen die Verwöhnung der Eltern rebellierte und versuchte, sich
abzugrenzen. Dazu gehörte ein eigener Beruf. Elisa lag im Liegestuhl auf der
Terrasse, hörte den Hahn krähen und überlegte mit halb geschlossenen Augen. Es
war Dienstag und ein normaler Arbeitstag. In der Nacht hatte es geregnet, der
Morgen war launisch und diesig gewesen. Nun ging es gegen Mittag, am Hang
waberte der Dunst und die Wolken malten Fratzen an den Himmel, die Sonne schien,
das Gras trocknete und es wurde frühlingshaft warm. Entfernt blökten Schafe.
Die Lehne des Liegestuhls war auf halbe Höhe gestellt, sodass Elisa die Spatzen
beobachten konnte, die auf dem groben Holztisch herumhüpften und tschilpten,
und wenn sie wollte, hatte sie einen weiten Blick über die Landschaft, die
weniger durch die vielen verschiedenen Grüntöne geprägt war als durch die
Wärmekraftwerke. Die Hügelketten wurden zerschnitten von Leitungen und Rohren,
aus gewaltigen Betonkübeln dampfte es, und der Dampf stieg auf und schuf
künstliche Wolkengebilde. Die Energie floss in Bewässerungssysteme für die
Landwirtschaft. Die gesamte Toskana sowie die italienische Eisenbahn wurden
durch Erdwärme mit Strom versorgt, wobei innovative Techniken angewandt wurden;
im benachbarten Larderello befand sich eines der drei Kraftwerke weltweit, wo
Strom mit Hilfe von Heißdampfreservoirs erzeugt wurde. Das hieß, dass der
Wasserdampf direkt die Turbinen des Dampfkraftwerks antrieb. Hermann fand das
faszinierend, doch Margarete behauptete, dass sie einen niederfrequenten
Brummton höre, der vom Kraftwerk komme, und dass sie dieses Geräusch allmählich
zermürbe. Die Mutter litt unter dem demütigenden Gefühl, von fremden Kräften
terrorisiert zu werden. Sie schluckte heimlich Tabletten dagegen, ließ die
Schachtel verschwinden und zerriss die Packungsbeilage, ehe sie die Fetzen in
den Papiermüll warf.
    Elisa blinzelte. Auf der Ablage neben ihr stand ein Glas
frisch gepresster Orangensaft mit einem dicken pinkfarbenen Strohhalm, der so
geknickt war, dass sie den Kopf nur etwas zur Seite neigen und nach vorn
strecken musste, um mit gespitzten Lippen ab und an einen kleinen Schluck zu
nehmen. Ihre Beine waren in eine raue Wolldecke gehüllt, die Margarete aus
selbst gesponnener ungewaschener Schafwolle gestrickt hatte. Elisa fror ein
wenig an den Händen, die schlecht durchblutet waren, und an ihrer Nase hing ein
Tropfen.
    Ihr Gesicht war leicht zur Seite geneigt, die Miene
unbeweglich. Die herabgezogenen Mundwinkel waren zu einem grotesken, starren
Grinsen verzerrt. Nur

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