Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Totenmesse

Titel: Totenmesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
Vom Netzwerk:
Laufschritt durchquerte er die Stadt. Keine Spur von Leben.
    Und dort unten im Grau – einem künstlichen Nebel, der vermutlich aus verbrannten fossilen Brennstoffen bestand, alten Dinosauriern – schlängelte sich die Mauer dahin, bis sie von dem grauen Himmel verschluckt wurde, der die Sonnenscheibe, die er nur sah, wenn er sich umdrehte, nicht zu verdecken vermochte.
    Denn die Sonne geht im Osten auf.
    Und sein Blick war nach Westen gerichtet.
    Als er sich umwandte, um die Sonne zu sehen, ahnte er in der Stille eine Bewegung. Vielleicht war die Bewegung nicht hinter seinem Rücken, sondern in seinem Kopf. Dorthatten sich im Verlauf der letzten Wochen viele Dämonen eingenistet. Im gleichen Maße, in dem sie in der Außenwelt auftauchten. Oder umgekehrt.
    Es war schwer, die äußeren Dämonen von den inneren zu unterscheiden.
    Ihre Zahl war Legion.
    Herrgott, der Ablieferungsort. Es war noch zu weit. Sie durften noch nicht kommen. Wie sollte er es schaffen? Er machte längere Schritte, aber er durfte nicht rennen. Dann wüssten sie, dass er sie gesehen hatte, und würden ihn einfach greifen. Dann wäre die Hölle los.
    Sie hielten sich noch zurück, warteten. Er wusste nicht genau, worauf.
    Noch einmal fuhr er mit der Hand über die Innentasche – und zugleich über sein Herz. Doch, es schlug noch. Unter dem Tagebuch und den drei Teilen in dem ockerfarbenen Umschlag.
    Ohne das schlagende Herz wäre nichts. Nur drei Papierstücke.
    Die drei toten Brüder, deren Vater er gewissermaßen war.
    Vater, dachte er. Hätte ich dich doch getroffen.
    Wenn du dies hier hättest sehen können, dachte er und machte längere Schritte. Sein Blick schweifte über die Stadt. Die Fassaden der Häuser, die noch standen, waren zerfressen. Eine graue Ruinenstadt mit noch grauerem Himmel.
    Davon hast du nicht geträumt. Jetzt weiß ich, wie du gedacht hast. Jetzt habe ich endlich deine Worte gelesen.
    Deine Träume waren größer als das hier.
    Aber das hier ist alles, was ich gesehen habe. Meine Stadt. Die Mauer, die ewige Mauer, dort draußen und ebenso in meinem Kopf. Und die fossilen Brennstoffe bewohnen meinen Körper.
    Ein einziges Mal hatte er die Stadt verlassen können. Es war nicht einfach gewesen. Nach Moskau. Um die Vergangenheit zu besuchen.
    Um die Vergangenheit zu verändern.
    Noch sah er den Park nicht. Wenn die ersten Baumkronen auftauchten, würde er anfangen zu laufen. Erst dann. Die Frage war vor allem, wann sie ihn greifen würden. Denn wer es tat, spielte kaum eine Rolle.
    Es gab drei Wege zum Park. Er hatte sie im Kopf. Die anderen sicher ebenso, aber es sollte möglich sein, sie zu täuschen. Es sollte möglich sein.
    Rein theoretisch.
    Noch ein Blick zurück über die Schulter. Ein Mensch jetzt – oder eher eine rasche Bewegung zu einer Haustür hin. Einen Moment noch als Abbild auf der Netzhaut. Eine optische Erinnerung.
    Er wusste, wer sie waren. Diese übertrieben gut geschneiderten Anzüge, als hätten sie alle denselben Schneider. Die Anzüge des Bruderlands sahen anders aus. Als hätten sie überhaupt keinen Schneider. Aber sie waren bestimmt auch in der Nähe.
    Die russischen Anzüge. Wie eine Schar von Bauern.
    Noch keine Baumwipfel. Und das Licht der Dämmerung, das sich durchs Grau zwingt. Aber noch keine Menschen.
    Keine außer ihnen. Verstecken sie sich nicht mehr? Die gut geschneiderten Anzüge scheinen jetzt überall zu sein. Oder sind sie nur in meinem Kopf?
    Zwei jetzt. Scharfe Konturen gegen die matte Sonnenscheibe. Kein Grund, sich länger zu verstecken.
    Dann war es so weit. Er bog an einem Zaun ab, lief über einen Spielplatz, schwang sich über eine Hecke, nahm eine Seitenstraße an einer Kreuzung und rannte. So schnell er konnte.
    Der zweite der drei Wege zum Park.
    Schritte. Er hörte die Schritte. Das Knirschen auf dem Kies des Spielplatzes. Du schaffst es. Du kannst es schaffen. Du kannst es immer noch schaffen.
    Er bog um eine Kurve und rannte eine größere Straße entlang,bog wieder ab, durch einen Hinterhof, in eine Waschküche und auf der anderen Seite wieder hinaus. Keine Schritte mehr.
    Wirklich nicht? Er konnte nicht stehen bleiben, um zu horchen. Und noch keine Baumwipfel.
    Er tat es trotzdem. Blieb stehen. Lehnte sich an eine Haustür, die tief in die Fassade eingelassen war. Horchte.
    Kein Laut. Sah sich

Weitere Kostenlose Bücher