Totenreise
Klasse zu gehen und dieselben Freunde zu haben …«
Wieder ging ein Lächeln über das Gesicht des Mädchens.
»So ungefähr«, sagte sie. »Jedenfalls verstehst du, was ich meine.«
Pascal sah ihr in die Augen. Natürlich verstand er.
***
Marguerite, die keine Ahnung von dem hatte, was ihrem Freund durch den Kopf ging, sprach noch einmal den Fall Delaveau an.
»Mich wundert, dass dieser verrückte Varney mich gestern Abend versetzt hat«, überlegte sie laut. »In seiner Wohnung hätte er mich problemlos ausschalten können. Ich war ja völlig arglos. Und Zeugen hätte es auch keine gegeben. Warum ist er dann nicht gekommen?«
Marcel erinnerte sich an seine Begegnung mit Varney, etwas, das er ihr nicht erzählen konnte. Wenn sie wüsste, dass sie ihm ihr Leben verdankte …
»Ich nehme an, er wollte keine Probleme kriegen«, spekulierte er. »Du wärst ein unbequemes Opfer gewesen. Vergiss nicht, dass viele Kriminelle der Polizei lieber aus dem Weg gehen. Außerdem hatte er sich seine Opfer für diese Nacht schon ausgesucht.«
»Wahrscheinlich hast du recht.« Marguerite verstummte einen Moment, sie sah ihren Kollegen an.
»Sag mal, wir reden und reden. Dabei solltest du dich lieber ausruhen. Wir machen morgen weiter.«
Doch Marcel wollte trotz seiner Schmerzen und der Erschöpfung die Tarnung aufbauen, die er sich zurechtgelegt hatte.
»Es geht mir gut. Wir können ruhig reden.«
»Sicher?«
»Ja, ja.«
Marguerite zog ihr Notizbuch aus der Tasche.
»Also, wenn du anfangen willst … Wie bist du darauf gekommen, dass Varney sich …«
Marcel hatte sich seine Version genauestens zurechtgelegt. Er musste aufpassen, dass er nicht davon abwich, sonst würde sie wieder misstrauisch werden. Vor allem galt es zu verhindern, dass sie dahinterkam, wer er in Wahrheit war …
»Bei meinen Untersuchungen habe ich herausgefunden«, begann er, »dass am Abend, als Delaveau starb, ein Zeuge zufällig gesehen hat, wie Varney zur fraglichen Zeit die Schule verließ; der Zeuge war Dominique.«
Marguerite bekam fast einen Wutanfall.
»Warum hat er das denn nicht erwähnt!? Wir haben doch mit ihm gesprochen!«
»Angst, Unsicherheit«, vermutete Marcel. »Der Junge war sich auch nicht ganz sicher; vergiss nicht, dass er den Mann lediglich beschreiben konnte. Er kannte ihn ja nicht …« Marguerite murrte noch ein bisschen vor sich hin, ließ ihn aber weiterreden.
»Varney hat anscheinend bemerkt, dass man ihn beobachtete, also hat er seine Pläne geändert. Er musste den Jungen zum Schweigen bringen, und zwar indem er ihn tötete. Mitten auf der Straße war das nicht möglich, weshalb er ihm zu Jules Marceaux gefolgt ist. Dominique war auf dem Weg zur Halloweenparty, und Varney ist ums Haus herumgestrichen und hat auf seine Gelegenheit gewartet.«
»Lass mich raten«, unterbrach ihn Marguerite. »Dominique hat auf der Party Raoul und Melanie erzählt, was er gesehen hat.«
»Genau. Varney hat zwar Dominique töten wollen, kam aber nicht an ihn heran und musste nun zunächst … anderweitig tätig werden. Und das war das Todesurteil für die beiden Schulfreunde.«
Marguerite runzelte die Stirn.
»Wie ist Varney denn dahintergekommen, dass die beiden darüber Bescheid wussten, was Dominique gesehen hatte?«
Marcel zuckte mit den Schultern.
»Keine Ahnung, und es ist mir beim derzeitigen Stand der Dinge auch egal.« Er versuchte, gleichgültig zu erscheinen, denn Marguerite hatte den Schwachpunkt seiner Geschichte gefunden. »Vielleicht hat er die beiden darüber reden hören, als sie die Party verlassen haben. Fakt ist, dass Raoul und Melanie in den Park Monceau gegangen sind und Varney die Gelegenheit beim Schopf gepackt hat.«
Marguerite dachte darüber nach.
»Jetzt verstehe ich, warum Dominique uns am Montag nichts gesagt hat«, stellte sie fest.
Marcel nickte.
»Natürlich. Nach dem zufälligen Verschwinden seiner Schulkameraden wollte er lieber nicht mehr daran denken … um nicht das nächste Opfer zu sein.«
»Na großartig«, regte sich Marguerite auf. »So hat er es dem Mörder ganz schön leicht gemacht.«
»Du kannst nicht erwarten, dass ein Jugendlicher so denkt wie du, Marguerite.«
»Nun gut«, versuchte sie abzuwiegeln. »Der ursprüngliche Zeuge war also noch am Leben. Wie ging es weiter?«
»Nun, Dominique hätte den Mörder wiedererkennen können, als der am Schauplatz des Verbrechens einen Job annahm. Also wartete Varney auf eine Gelegenheit, um den Zeugen zu beseitigen. Und gestern
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