Totenreise
du sicher?«, fragte Dominique leichenblass.
»Ja«, bestätigte sie. »Und der Vampir weiß von meinen magischen Kräften. Deshalb rechnet er damit, dass ich es dir, Pascal, erzähle.« Sie blickte ihn mitfühlend an. »Tut mir leid, Junge. Wirklich. Deshalb habe ich euch gesagt, dass wir es mit einem ziemlich intelligenten Gegner zu tun haben. Jetzt hat er eine Geisel in der anderen Welt, womit er dich zwingt, erneut durch die Dunkle Pforte zu gehen, um sie zu befreien.« Wieder traf ihn dieser sanfte Blick. »Auf diese Weise stellst du keine Gefahr mehr im Reich der Lebenden dar und befindest dich am idealen Ort für ihn, um die Pforte zu zerstören. Wenn ihm dieser Plan gelingt, wird ihn niemand mehr aufhalten. Die wenigen Zauberer, die derzeit in der Welt sind, haben nicht genug Macht, ihm in den Arm zu fallen, wenn der Wanderer im Reich der Toten gefangen ist. Ein meisterhafter Schachzug, das muss man schon sagen. Meine erste Vorahnung, als ich Michelle mit deiner Reise in Verbindung gebracht habe, hat sich erfüllt.«
»Aber … woher weißt du, dass es Michelle ist, die entführt wurde?«, wollte Pascal wissen und weigerte sich, das Gehörte zu akzeptieren. »Sie hat weder Fähigkeiten wie Edouard, noch wusste sie etwas von meiner Sache …«
Daphne hatte gehofft, dieses Thema nicht anschneiden zu müssen, um Pascal weiteren Kummer zu ersparen. Doch nun stand die Frage im Raum, und ihr blieb nichts anderes übrig, als zu antworten: »Die Wesen des Bösen können bestimmte Fähigkeiten wahrnehmen und ebenso besonders starke Gefühle. Und die Liebe ist so eines, Pascal. Ich weiß nicht, ob sie deine Freundin sein wollte, aber angesichts der Ereignisse kann ich sicher sagen, dass sie etwas für dich empfindet. Wenn das nicht so wäre, dann hätte der Vampir sie nicht so leicht gefunden.«
Pascal stiegen wieder die Tränen in die Augen, nur mühsam hielt er sie zurück. Dominique legte ihm zum Trost einen Arm um die Schultern. Er war ebenfalls kurz davor, die Fassung zu verlieren.
23
Es WAR MITTWOCH, halb neun Uhr abends. Die Nacht war über Paris hereingebrochen, und die letzten Touristen verließen das Gelände von Père Lachaise, die berühmten Grabstellen von bedeutenden Künstlern, Wissenschaftlern und Politikern. Marguerite und Marcel, der Gerichtsmediziner, schlugen währenddessen die Zeit vor dem Tor des riesigen Friedhofs tot. Sie warteten darauf, dass auch die letzten Angestellten den Ort verließen, um sich heimlich Zugang zu verschaffen.
Der Torbereich wurde lediglich vom trüben Licht einiger weniger Laternen erhellt. Der baumbestandene Bereich rings um den Parkplatz war hingegen in absolute Dunkelheit getaucht.
Marcel zündete sich eine Zigarette an.
»Ist das zur Tarnung oder bist du so nervös?«, fragte Marguerite; sie stand an ihr Auto gelehnt, die Arme über der Brust gekreuzt.
»Letzteres. Liegt wohl am Stress.«
»Wie ist es möglich, dass jemand, der mit Leichen arbeitet, bei einem Friedhofsbesuch nervös wird?«, wollte sie schmunzelnd wissen.
Der Gerichtsmediziner hätte ihr eine einfache Antwort darauf geben können; wenn sie gewusst hätte, was er wusste, wäre sie genauso unruhig gewesen.
»Es ist niemand mehr da«, stellte er stattdessen fest, ohne auf Marguerites Kommentar einzugehen. Er wollte es so schnell wie möglich hinter sich bringen. »Gehen wir rein?«
Die Kommissarin war einverstanden. Sie hatten sich das Friedhofsgelände genauer angesehen und einen Zaunabschnitt ausgewählt, der etwas versteckt lag, also holten sie eine Leiter aus dem Kofferraum und wandten sich unauffällig ihrem Ziel zu. Sicherheitshalber trugen sie ihre Polizeiausweise bei sich, falls sie jemand bei ihrer heimlichen Aktion überraschen sollte.
Kurz darauf befanden sie sich auf dem Friedhofsgelände und leuchteten mit ihren Taschenlampen in die Dunkelheit. Die Leiter versteckten sie unter ein paar Büschen. Jeder trug einen Rucksack mit Werkzeug, das sie für die Exhumierung brauchen würden.
Die Stille an diesem düsteren Ort war vollkommen und wurde hin und wieder lediglich von Geräuschen gestört, die von den umliegenden Straßen kamen. Schweigend setzten die beiden sich in Bewegung. Bald warf der schwache Schein von Laternen ein blasses Licht auf die gepflasterten Wege zwischen den Grabsteinen und Familiengruften.
»Wie anders alles aussieht, wenn es dunkel ist«, bemerkte Marguerite endlich leise und stimmte ein sanftes Lachen an, in das ihr Kollege nicht einfiel. »Beeindruckend,
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