Totenreise
haben.«
»Das habe ich mir schon gedacht. Sie sind auf dem Heimweg ermordet worden …«
Marguerite griff nach ihrer Amethystkette, schob sich einen der Steine zwischen die Lippen und kaute geistesabwesend darauf herum.
»Die unwahrscheinlichste These scheint die richtige zu sein, Marcel«, fuhr sie dann fort. »Und die besorgniserregendste. Dieser Doppelmord könnte von demselben Täter verübt worden sein, der den Lehrer Delaveau umgebracht hat.«
Marcel blickte sie erstaunt an.
»Glaubst du das wirklich?«
»Sieht ganz danach aus. Den beiden Jugendlichen wurde ebenfalls … das Blut abgesaugt, wenn auch nicht so fein säuberlich. Außerdem hatten sie zahlreiche andere Verletzungen, der Körper des Mädchens war übel zugerichtet. Unser Mörder ist ordentlich in Fahrt gekommen. Er findet das wohl witzig.«
»Wenn deine Theorie stimmt, haben wir es mit einem Typen zu tun, der dazu in der Lage ist, drei Personen in einer Nacht bestialisch zuzurichten«, unterbrach sie der Gerichtsmediziner verblüfft. »Eine regelrechte Tötungsmaschine.«
»Und eine perfekte dazu, denn der Täter hat wieder keine Spuren hinterlassen«, stellte Marguerite fest. »Man könnte fast den Eindruck gewinnen, dass er sich über uns lustig macht.«
Der Gerichtsmediziner wusste, wie gewissenhaft seine Kollegin bei der Arbeit war, also stellte er eine Frage, deren Antwort er bereits kannte: »Habt ihr ein Täterprofil erstellt? Ich nehme an, ihr habt genug Informationen dafür.«
»Selbstverständlich.« Die Kommissarin stand auf und war mit wenigen Schritten an der Wand hinter ihr, wo ein riesiger Stadtplan von Paris hing. »Es gibt zwei Stellen, an denen die Leichen gefunden wurden.« Sie wies auf zwei aufgeklebte Punkte. »Die Fundorte weisen darauf hin, dass sich unser Mörder im ältesten Teil von Paris bewegt, dem zweiten, dritten und vierten Bezirk. Auch wenn im Fall der Jugendlichen der Fundort der Leichen nicht genau mit dem Tatort übereinstimmt, sind wir beinahe sicher, dass das Verbrechen auf dem Parkgelände geschehen ist; weitere Blutspuren, die wir gefunden haben, legen es nahe.«
»Unser Mörder bewegt sich in einem engen Radius«, stellte Marcel fest. »Er scheint den Rest des Stadtgebiets für seine Verbrechen gar nicht in Betracht zu ziehen. Das ist seltsam, denn das erhöht sein Risiko.«
»Er soll ruhig so weitermachen. Uns interessiert, warum er das tut. Was für ein Motiv hat er? Was haben die Opfer noch gemeinsam, außer dem Marie-Curie-Gymnasium?«
»Vielleicht haben sie nur gemeinsam, dass sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren.«
Marguerite schnaubte.
»Hoffen wir, dass das nicht stimmt, sonst wird es viel schwieriger, ihn zu kriegen. Wir tappen jetzt schon total im Dunkeln.«
»Was kannst du mir noch über das Täterprofil sagen?«, hakte Marcel nach.
»Die Blutspuren im Park weisen darauf hin, dass die Jugendlichen nicht gemeinsam starben. Wir denken, sie wurden getrennt, damit der Mörder leichteres Spiel hatte.«
»Also auf jeden Fall ein Einzeltäter«, stimmte Marcel zu. »Wenn es eine Gruppe gewesen wäre, hätte man die Opfer nicht nacheinander angreifen müssen. Was allerdings nicht ins Bild passt, sind die Leichen im Baum. Wie sollte eine einzelne Person das bewerkstelligen?«
»Wenn sie jung ist und stark genug, denke ich, geht das schon. Beides Eigenschaften, die wir ebenfalls in unserem Profil haben. Mit einer gewissen Beweglichkeit kann man auf diese Bäume klettern. Und die beiden Jugendlichen waren nicht wirklich schwer …«
»Aber Luc Gautier ist ein alter Mann …«, erwiderte Marcel.
»Nerv mich nicht, Marcel. Willst du diesen Fingerabdruck wirklich ernst nehmen? So langsam habe ich den Eindruck, dass jemand ihn dort platziert hat, um uns auf eine falsche Fährte zu locken.«
»Okay, du hast ja recht, vergessen wir also diesen Hinweis vorerst.«
»Die Art des Angriffs und das, was der Mörder anschließend mit den Leichen gemacht hat, führt uns zu der Annahme, dass es sich um einen männlichen Angreifer handelte. Was seine Persönlichkeit betrifft, muss es eine gefühllose, berechnende und äußerst intelligente Person sein. Jemand, der weiß, wie und wann er angreifen muss, ohne gesehen zu werden. Außerdem muss er ein Sadist sein, wenn man sein Interesse am Blut seiner Opfer berücksichtigt.« Sie hielt einen Moment inne. »Wir fragen uns außerdem, ob der Mörder nicht vielleicht über medizinische Kenntnisse verfügt, weil wir noch immer nicht herausgefunden
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