Totenreise
es bitte nicht an die große Glocke. Ich hatte vor Kurzem erst Ärger mit meinem Vorgesetzten.«
»Okay, einverstanden«, gab Olivier nach. »Aber es darf nicht noch einmal vorkommen …«
»Wird es nicht, das verspreche ich dir.«
Marcel legte auf und seufzte geräuschvoll. Er hatte unten im Keller bereits sämtliche Spuren beseitigt. Niemand würde jemals erfahren, was hier gerade geschehen war. Niemand. Schon gar nicht Marguerite. Es stand viel mehr auf dem Spiel als das Leben von ein paar Einzelnen. Etwas, das er mit der Kommissarin nicht teilen konnte, obwohl er sehr gern auf sie gezählt hätte.
Und er hatte eine Aufgabe: Um eine Invasion von Untoten zu verhindern, musste er sich ab jetzt um die neuen Opfer des Vampirs kümmern. Bis man ihn schnappen würde. Er hoffte, dass dies bald geschehen würde.
***
Jules keuchte, obwohl es ihm eigentlich jedes Mal leichter fiel, Dominique die letzten Stufen hochzuhieven. Doch der Rollstuhl allein wog schon einiges, und die Hellseherin konnte ihm dabei nicht helfen …
Schließlich befanden die drei sich auf dem Dachboden, und sofort zog die Dunkle Pforte ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich.
Noch immer war von Pascal nichts zu sehen und zu hören. Sie schauten auf die Uhr und rechneten sich aus, wie lange ihr Freund sich bereits in der Welt der Toten aufhielt. Jedes Mal, wenn er darüber nachdachte, was hier eigentlich passierte, überkam Jules ein seltsames Gefühl. Diese riesige Truhe bedeutete, dass sich bei ihm, in seinem Haus, ein Zugang direkt zur Hölle befand. Das war einfach ungeheuerlich …
Sobald sie es sich auf einem durchgesessenen altmodischen Sofa und einem zerfledderten Sessel ein wenig bequem gemacht hatten, begann Dominique zu erzählen, wie Daphne und er die beiden jungen Vampire getötet hatten. Seine Stimme verriet ungläubigen Stolz.
»Nicht zu fassen«, sagte Jules schließlich beeindruckt und fühlte sich fast ein wenig schwindlig. »Vampire, echte Vampire.« Sein Blick ging zu der Wahrsagerin hin, die der Erzählung mit geschlossenen Augen gefolgt war, hin und wieder spielte ein Lächeln um ihre Lippen …
Nachdem Dominique geendet hatte, betrachtete er Jules. Die dunklen Klamotten waren für seinen mageren Körper viel zu groß und heute hatte er die Augen nicht geschminkt. Bis zur Halloweenparty hatten sie sich in der Schule kaum gegrüßt, doch jetzt, wo sie sich ein bisschen besser kannten, erwies sich Jules als netter und umgänglicher Typ. Er hatte etwas Träumerisches, etwas, das ihn an Pascal erinnerte.
»Du solltest mal an die Sonne gehen und ein bisschen zunehmen«, empfahl Dominique ihm. »Du bist nur Haut und Knochen.«
Jules lächelte.
»Ich versuch’s ja schon. Ich bin wirklich die ganze Zeit am Futtern. Doch irgendwie nehme ich kein Gramm zu. In meiner Familie sind alle ziemlich dünn. Und was die Sonne betrifft … lieber nicht. Ich kriege schnell einen Sonnenbrand und dann pellt sich meine Haut. Ich bin nicht gerade als Sonnenanbeter geboren.«
Dominique nickte.
»Erzähl mir doch etwas von dir«, bat er ihn. »Ich denke, dass wir eine Menge Zeit zusammen hier oben verbringen werden.«
Daphne hörte ihnen weiter zu, ohne sich einzumischen. Es war nicht schlecht, fand sie, wenn sich die beiden ein bisschen besser kennenlernten.
»Was soll ich dir erzählen?«, erwiderte Jules, während er an einem Kästchen herumspielte, das er zwischen den Möbeln gefunden hatte.
Dominique zuckte mit den Schultern.
»Ich weiß nicht. Was du willst. Zum Beispiel, ob du Videospiele magst.«
Jules warf ihm einen listigen Blick zu.
»Das ist doch dein Ding«, sagte er zu ihm. »Du bist ein Computerfreak, stimmt’s?«
»Ich bin ein großer Fan, ja.«
»Ich nicht. Ich mag zwar Spiele, aber echte, mit Brett und Würfeln …«
»Und mit Figuren. Ein Klassiker also«, bemerkte Dominique ironisch. »Was hast du gegen Computerspiele?«
»Das ist nicht dasselbe! Man sieht die anderen Spieler nicht einmal, es fehlt mir das Gegenüber. Ich finde, die Wirklichkeit ist immer besser als das Virtuelle.«
»In der Zwischenzeit gibt es doch eine Menge Online-Spiele, bei denen man die Mitspieler auch sehen kann, mit einer Webcam.«
Jules winkte ab.
»Das kann man nicht vergleichen. Eine echte Partie erlebt man anders. Die Reaktionen des Mitspielers, und dann die gemeinsame Spannung, wenn man darauf warten muss, was der Würfel anzeigt.«
Dominique lachte.
»Am Ende überzeugst du mich noch davon, man merkt, dass es dir gefällt. Bist
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