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Totenruhe

Titel: Totenruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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nahm sie an, dass Gus, wenn er über ihre frühe Rückkehr
erfreut gewesen wäre, gesagt hätte: »Na prima, dann machen wir uns mal alle auf die Socken, Leute«, und sie wären alle zusammen gegangen. Aber er hatte Bo aufgefordert, ihm in sein Büro zu folgen.
    Sie sagte kein Wort über das, was sie gesehen hatte, aber Lew ging kurz nach ihr ins Badezimmer, und sie wusste, dass er es auch gesehen hatte. Er hatte zwar den ganzen Abend keinen Ton gesagt, aber danach war er noch in sich gekehrter gewesen.
    Sie hatte Gus sofort durchschaut, als er herausgekommen war und sie angewiesen hatte, zur Hütte zu fahren. Hatte gesehen, wie er Lew scharf gemustert hatte. Allerdings glaubte sie nicht, dass sich Lew durch irgendwas verraten hatte. Er gab sich völlig gelassen. Sie fragte sich, ob Gus Lew wohl für dumm hielt, weil er nie etwas sagte. In Wirklichkeit war Gus der Idiot. Bo die Verantwortung für irgendwas zu übertragen war weiß Gott keine geniale Idee.
    Sie dachte an ihren Wagen und runzelte die Stirn. Würde sie ihn je wiedersehen? Wahrscheinlich nicht. Es wäre keine gute Idee, nach Las Piernas zurückzukehren, aber genau da stand er eben, eingesperrt in die Garage von Gus’ Haus. Der Wagen war ein Geschenk eines reichen, verheirateten Mannes gewesen, der sie eine Zeit lang verwöhnt hatte, ehe er gemerkt hatte, dass sie ihn mit Gus betrog. Aber er hatte ihr den Wagen gelassen, dessen Fußboden extra mit pinkfarbenem Teppich ausgelegt worden war.
    Das war der kleine Scherz des reichen Kerls gewesen, und was hatte sie gelacht, als sie den Teppich zum ersten Mal gesehen hatte. Sie trug nie pinkfarbene Kleider, doch sie liebte pinkfarbene Unterwäsche. Es verschaffte ihr eine Art heimlichen Vergnügens zu wissen, dass sie nichts langweiliges Weißes trug, aber auch nichts, was allzu verrucht war wie Schwarz oder Rot. Pink war unschuldig, aber auch ein bisschen frech. Die Männer, mit denen sie ging, machte es immer ganz verrückt
- und am allermeisten den Reichen. Er hatte zu ihr gesagt, der Teppich im Auto wäre genau wie ihre Höschen, ein kleines, verborgenes Vergnügen, das die meisten Leute nicht sehen würden, ehe sie nahe genug kamen.
    Sie vermisste den Reichen nicht. Und es ließ sie auch kalt, Gus zu verlassen. In Las Piernas war ihr nicht viel Gutes widerfahren, aber sie wünschte bei Gott, sie hätte ihren Wagen gehabt. Sie sah auf ihre Handtasche hinab und dachte an das kleine Etwas, das sie aus dem Büro vom Boss gestohlen hatte, eines Abends, als Gus sich draußen auf der Farm mit ihm getroffen hatte. Das hatte sie sowohl erregt als auch geängstigt, aber ein Mädchen musste nun mal für sich selbst sorgen. Vielleicht würde es sich eines Tages noch als nützlich erweisen, und sie konnte damit ein neues Auto finanzieren.
    Sie betrachtete Lews lange braune Finger am Lenkrad des Bel-Air, das er sicher und ruhig festhielt, während er den Camino Real in Richtung San Diego entlangfuhr. Sie schob die Zehen unter Lews Schenkel. Als er zu ihr hersah, fragte sie: »Darf ich sie ein bisschen wärmen?«
    Er nickte. Sie sah, wie er schwer schluckte, und musste schmunzeln. »Wohin fahren wir?«
    »Mexiko.«
    »Ich spreche aber nicht Mexikanisch.«
    »Ich spreche Spanisch. Wir kommen schon klar.«
    »Du sprichst zwei Sprachen? Mann, dafür sagst du aber in keiner von beiden viel.«
    »A buen entendedor, pocas palabras« , erwiderte er.
    »Was heißt das?«
    »Bei einer Frau von wachem Verstand braucht man nicht viele Worte«, sagte er und fuhr ihr mit einer starken Hand von der Ferse bis zur Kniekehle über die Nylons, sodass sich ihr Rock sachte bis zu den Hüften bauschte und die Stelle sehen ließ, wo ihre Strümpfe an den Strapsen befestigt waren, und dahinter einen Hauch von Pink.

4
    Eric Yeager fröstelte und schob die großen Hände in die Taschen seiner dicken Seemannsjacke. Er wartete in der Dunkelheit hinter einem rostigen Eisentor und blickte aufs Meer hinaus, obwohl der Nebel mittlerweile so dick war, dass er das nur hundert Meter weit weg liegende Wasser nicht sehen konnte. Doch er konnte es hören. Ein Sturm zog auf. Hätte er es nicht schon im Autoradio gehört, hätte es ihm das Geräusch der Brecher verraten. Er streckte sich ein bisschen, da seine Muskeln von einer Nacht harter Arbeit wehtaten. Am Unterarm hatte er eine schmerzhafte Wunde, die ihn mitten in der Bewegung innehalten ließ. Kurz flammte Wut in ihm auf, als er daran dachte, wie er die Verletzung erlitten hatte, doch dann lächelte

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