Totenruhe
mondlosen Nächten an den Strand, und die Schmuggler brachten den Schnaps vom Strand in diese unterirdischen Gänge und von dort aus in die Keller der reichen Leute. Wenn
die Leute von der Prohibitionsbehörde Fragen stellten, na, dann erklärten ihnen die Reichen einfach, dass sie die Gänge benutzten, um ihre kleinen Boote dort unterzubringen oder um zum Sonnenbaden an den Strand gehen zu können. Dagegen war die Regierung machtlos.
Eric bildete sich gern ein, dass er einen guten Schnapsschmuggler abgegeben hätte. Sein Vater Adam Yaeger war einer gewesen. Eric konnte sich kaum noch an ihn erinnern, aber Onkel Mitch hatte darauf geachtet, den Jungen in ihrer Kindheit und Jugend alles über ihn zu erzählen. Ganz egal, was man auch sonst über Onkel Mitch sagen mochte, man musste zugeben, dass er Erics Dad geliebt hatte.
Sein Dad war ein wilder Teufelskerl gewesen, aber auch schlau. Die Familie hatte während der Depression einen Haufen Geld verloren. Adams Schmuggelei hatte sie vor der Armut bewahrt. Das hatte jedenfalls Onkel Mitch immer behauptet.
Der Nebel war früher als erwartet aufgezogen, und als die Minuten verstrichen, begann Eric sich zu fragen, ob Ian es wohl ohne Schwierigkeiten bis ans Ufer schaffen würde. Vielleicht schmiedete Onkel Mitch doch nicht immer so großartige Pläne. Eigentlich war sich Eric da sogar sicher.
Eric neigte mehr zum Improvisieren als Ian. Manchmal geschah etwas Unerwartetes, und man musste in der Lage sein, darauf zu reagieren - so ähnlich, wie James Bond reagieren würde.
Heute Abend hatte er sich gezwungen gesehen, einige Entscheidungen zu treffen, und er hatte gut entschieden. Er hoffte, Ian hatte begriffen, was er tun musste. Er ließ schon zu lange auf sich warten.
Wenn Ian irgendetwas zugestoßen war …
Er hörte jemanden über den Sand tappen und näher kommen. Unschlüssig zog er noch einmal an der Zigarette.
»Mach die verdammte Zigarette aus«, sagte eine Stimme aus
der weißen Wand heraus. Nach und nach erkannte Eric die Gestalt in dem Taucheranzug. Ian war also nichts zugestoßen. Alles würde gut werden.
»Zwing mich doch, kleiner Bruder«, erwiderte er lachend.
5
Mitch Yeager legte den Telefonhörer auf und atmete geräuschvoll aus. Er lauschte und fragte sich, ob der Anruf Estelle und das Baby geweckt hatte, aber oben blieb alles ruhig.
Er hatte eigentlich erwartet, dass er sich irgendwie anders fühlen würde. So viel Wartezeit und Planung waren für diese Nacht notwendig gewesen. Natürlich war nicht alles genau so ausgeführt worden, wie er es verlangt hatte. Und es gab noch ein paar andere Dinge zu erledigen. Sein Vergnügen würde noch ein bisschen warten müssen.
Er konnte geduldig sein.
Der Gedanke ließ ihn schmunzeln.
Nichts zu tun haben. Das war es. Es würde ihm besser gehen, wenn er erst einmal alles zu seiner Zufriedenheit geregelt hatte.
Wenigstens wusste er, dass Eric und Ian inzwischen zu Hause waren. Er würde sich etwas zu ihrer Belohnung einfallen lassen müssen. Eric brauchte wahrscheinlich mehr Bestätigung. Er liebte seine Neffen, aber keiner von beiden war ein Geistesriese. In puncto Verstand kamen sie nach ihrer verstorbenen Mutter.
Mitch hörte das Baby weinen, aber Estelle lief hinein und kümmerte sich um den Kleinen, und schon bald beruhigte er sich. Mitch fragte sich, ob der Kleine wohl intelligent werden würde. Das konnte man jetzt natürlich noch nicht sagen. Wenn ja, würde Mitch ihm beibringen, Yeager Enterprises zu leiten. Wäre das nicht was? Doch, das wäre ideal.
Er trat an seinen Schreibtisch und hob eine kleine, gerahmte Fotografie hoch - ein Schwarzweißfoto von Mitch und seinem Bruder. Adam war etwa zwanzig und hatte einen Arm um Mitchs magere Schultern gelegt. Mitch war ungefähr fünfzehn. Adam lächelte, und der Schalk blitzte in seinen Augen.
Er fehlte ihm jeden Tag. Jeden einzelnen Tag.
6
Von hinten gesehen hätte man den Mann, der schon seit Stunden in dem Krankenzimmer Wache hielt, für einen Boxer halten können. Er war athletisch gebaut, etwa Ende zwanzig und konnte seine stämmige Statur ebenso wenig unter seinem Anzug verbergen, wie sich seine Körpergröße durch die seltsame Art kaschieren ließ, in der er am Fenster lehnte, die beiden großen Hände gegen die Scheibe gestützt, eine offen, die andere zur Faust geballt. Auch seine Stirn berührte dieselbe kalte, glatte Fläche. Es regnete, doch er schien weder zu bemerken, wie die Tropfen auf die andere Seite der Scheibe
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