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Totenseelen

Totenseelen

Titel: Totenseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lautenbach
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paar dicke selbst gestrickte schwarz-blau gestreifte Socken als Dank für das Gefühl, mit dem Toten unter dem Haus nicht allein gewesen zu sein.
    Man werde sich wieder sehen, hatte sie versichert, wenn auch nicht mehr in diesem Haus. Das könne er doch sicher verstehen. Aber die Insel lasse sie sich nicht nehmen. Wo käme man auch hin, sich für Sünden, die man nicht selbst begangen habe, aus dem Paradies vertreiben zu lassen?
    Pieplow hatte dazu genickt und versprochen, sich im kommenden Mai zu einem Glas Wein auf der Terrasse des Inselblick einladen zu lassen.
    »Nur kein Neid«, parierte Pieplow die Stichelei in dem halb spöttischen, halb versöhnlichen Ton, mit dem man Kästner gut den Wind aus den Segeln nehmen konnte. Fast so gut wie mit dem richtigen Imbiss.
    »Ich kann auf dem Rückweg Kuchen mitbringen. Berliner vielleicht? Oder lieber was Herzhaftes?« Er stand auf und griff nach seiner Uniformjacke.
    Kästner überhörte das Angebot. »Rückweg von wo, wenn ich fragen darf?«
    »Vom letzten möglichen Zeugen.« Es klang beiläufig. So, als sei der Gang zum Hafen kaum mehr als seine übliche kurze Auszeit, die den Kopf wieder klarmachte und die Gedanken aus dem Kreisen um immer wieder dieselben Dinge herausholte.
    Es war noch einmal warm geworden. Nach ein paar stürmischen Tagen, in denen der Wind das Laub von den Bäumen gerissen und zu braunen, modrigen Haufen zusammengetrieben hatte, spannte sich jetzt ein mattblauer Himmel mit einer herbstmüden Sonne über die Insel. Es war Pieplow recht, dass niemand von ihm Notiz nahm, als er sich auf den Weg hinüber zum Hafen machte. Und auch auf das Gespann, das sich den Deich hinab Richtung Mittagstisch trollte, hätte er gern verzichtet.
    »Moin, Pieplow.« Dreistimmig.
    »Geht wohl nicht so voran, oder was?« Erwin Schulte wie immer der Redseligste.
    »Wie man’s nimmt.« Pieplow hielt sich bedeckt. »Wir sind mit unseren Sachen so gut wie durch. Aber wie’s bei den Bergenern aussieht …?« Satz fragend in der Luft hängen lassen, Schultern zweifelnd heben, skeptisch die Mundwinkel nach unten ziehen. Fertig war die Steilvorlage für eine Lieblingsmeinung der Hiddenseer: Obrigkeit, pah! Was war von denen schon zu erwarten!
    »Sag ich doch«, stieg Een prompt darauf ein.
    »Wat de nich selbst machst, wird nix«, führte Mall den Gedanken zu Ende. Alle drei nickten wissend.
    »Na, denn«, sagte Pieplow ernst und hob flüchtig die Hand zur Mütze.
    Drei Stunden würde es mindestens dauern, ehe die drei zur Nachmittagsinspektion zurück in den Hafen kamen.
    Ein paar Schritte noch, und Pieplow sah über die Deichkrone hinweg den Alten auf seiner Bank. Ganz gerade, wie immer in seiner dunklen Jacke, die Hände auf den Krückstock gestützt, saß er da, den Hafen und die Kutter mit ihrem Gewirr von Taurollen und Netzen im Blick. Er wandte den Kopf nur ganz kurz für ein flüchtiges Nicken, als Pieplow sich neben ihn setzte.
    Der Alte schwieg beharrlich, und so machte Pieplow den Anfang. »Sie wissen, warum ich hier bin«, behauptete er ins Blaue hinein.
    »Um zu tun, was Ihre Pflicht ist, denke ich.« Die Stimme des Kapitäns klang gelassen. Fast gleichgültig, fand Pieplow, der kaum eine Veränderung im Profil des dunkel gegerbten Gesichts feststellen konnte. Vielleicht waren die Augen ein wenig schmaler geworden.
    »Das hört sich einfacher an, als es ist. Weil ich dazu erstmal wissen müsste, worin sie besteht, meine Pflicht«, sagte Pieplow, der sich bei dem Hin und Her seiner Gedanken zu genau dieser Frage seit Tagen wie seekrank fühlte. Übelkeit. Schwindel. Den Wunsch, sich endlich wieder auf festem Boden zu bewegen.
    Jetzt wandte der Kapitän doch den Kopf und sah Pieplow an. »Was soll daran schwierig sein? Sie haben nach dem gesucht, der Roloff getötet hat, und Sie haben ihn gefunden.«
    »Zumindest einen von beiden«, schränkte Pieplow ein.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Ich meine, dass Sie nicht allein gewesen sind. Richard Schlesinger wird Ihnen geholfen haben, nehme ich an. Wenn nicht bei der Tat, dann dabei, die Leiche zu vergraben. Und vielleicht auch bei dem Einbruch in Roloffs Zimmer.«
    »Sie irren sich«, sagte der Kapitän entschieden. »Der hat nichts damit zu tun. Gar nichts. Ich kannte ihn nicht einmal und hatte keine Ahnung, wem das Grundstück gehörte. Für mich war es ein praktischer Zufall, dass dort gerade ausgeschachtet wurde. Weicher Boden, in dem sich schnell und tief graben ließ. Und um Roloffs Siebensachen irgendwo da draußen

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