Totensonntag: Ein Westfalen-Krimi (Westfalen-Krimis) (German Edition)
Angriffe – zu mehr war er wegen der Handschellen, mit denen er am Stuhlrücken befestigt worden war, nicht in der Lage – immer mehr forcierte, war ihnen nichts anderes übrig geblieben, als ihn zu knebeln. Dann hatte er grummelnd dagesessen und seine beiden Entführer wütend angestarrt.
Während Rademacher nun gern mit der Befragung Kloppenburgs begonnen hätte, war Mike fix und fertig gewesen. Seine Verletzungen waren nicht einfach mit Willenskraft zu heilen, sie brauchten Zeit. Anstatt sich in einem anständigen Bett zu pflegen, hatte Mike sich geprügelt und saß nun in einer Holzbaracke, in der es keinerlei Bequemlichkeiten gab. Der kleine Kanonenofen in der einen Ecke hätte die Hütte durchaus etwas wärmen können, aber keiner von beiden hatte Lust verspürt, im dunklen Wald nach trockenem Holz zu suchen. Also blieb die Hütte kalt, was besonders Wilfried Kloppenburg spürte, der keine Möglichkeit hatte, sich nennenswert zu bewegen. Rademacher hatte ihm daher ein kleines Gläschen Wodka spendiert, mehr gab es nicht. Nachdem Mike ein ganzes Wasserglas davon getrunken hatte, war er schläfrig geworden und hatte sich auf eine der Luftmatratzen, die im Koffer gewesen waren, gelegt und zugedeckt.
Bei Rademacher aber war die Lust daran gewachsen, seine Macht dem Gefangenen gegenüber auszuspielen. Kloppenburg bekam keine Decke und durfte sich auch nicht hinlegen. Mit Blick auf den eben einschlafenden Mike sagte Rademacher abschätzig, aber leise: »So eine Pflaume! Wenn ich den Kerl vor mir hätte, der mir ein halbes Ohr abgeschnitten hat, dann würde ich nicht schlafen. Dem würde ich jedes bisschen Schmerz doppelt heimzahlen.«
Dann war er zu Kloppenburg gegangen und hatte ihm den Knebel aus dem Mund gezogen. Aber nicht aus Mitgefühl, sondern um mit ihm sprechen zu können. Er gab dem Wehrlosen eine harte Kopfnuss mit der Taschenlampe, leuchtete ihm dann ins Gesicht und fragte:
»Wie hast du es denn gemacht mit dem Ohr? Ein einziger schneller Schnitt – oder hast du es langsam gemacht, ganz genüsslich?«
Kloppenburg, der wegen der blendend hellen Taschenlampe die Augen schließen musste, hatte nur wütend gebrummt: »Sie haben doch ’ne weiche Birne. Ich weiß von keinem Ohr, wovon reden Sie?«
Wieder schlug Rademacher mit der Taschenlampe zu. Diesmal traf er Kloppenburgs rechtes Knie. Der schrie vor Schmerz auf. Davon schreckte Mike hoch und rief Rademacher zornig zu: »Mensch, wenn du jetzt nicht sofort Ruhe gibst, dann ramme ich dich unangespitzt in den Boden. Ich muss pennen! Kapier das doch mal: Ich bin schwer verletzt worden. Gönn mir wenigstens etwas Schlaf. Wir können uns morgen früh in aller Ruhe mit diesem Kerl befassen. Der kriegt schon noch seinen Teil. Ich habe das Ohr nicht vergessen, keine Sorge. Aber Rache soll man kalt genießen, dann macht’s mehr Spaß.«
Das war die längste Rede, die Rademacher jemals von Mike zu hören bekommen hatte. Danach war ihm nichts anderes übrig geblieben, als sich ebenfalls aufs Ohr zu legen und die Decke über den Kopf zu ziehen. Den hilflosen Gefangenen zu quälen war die eine Sache, sich mit einem gereizten Mike auseinanderzusetzen eine ganz andere.
Die Kälte hatte nur wenig Schlaf zugelassen. Immer wieder war Rademacher aufgewacht, hatte versucht, sich enger in seine Decke zu wickeln. Aber auch das war letztlich zwecklos geblieben. Mike hingegen schlief tief und fest. Wie es seinem Gefangenen ging, der nach wie vor gefesselt auf dem Stuhl saß und außer seinem Mantel nichts zum Schutz gegen die Kälte hatte, kümmerte ihn nicht weiter. Im Gegenteil, Rademacher entdeckte während dieser Nacht etwas Neues an sich, etwas, was ihm zuvor nie bewusst geworden war. Es bereitete ihm Vergnügen, Macht zu haben und Macht auszuspielen. Und wenn das Opfer seiner Machtspiele dabei Schmerzen empfand, dann war dies das Sahnehäubchen auf seinem Glück.
Früh am Morgen war er dann endgültig wach und stand auf. Er verließ die Hütte und erleichterte sich draußen. Der Regen hatte aufgehört, aber es war empfindlich kühl. Als er wieder hereinkam, sah er sich einem blau gefrorenen, bibbernden Wilfried Kloppenburg gegenüber, der am Ende seiner Kräfte war. Mike schlief noch immer. Rademacher setzte einen Blechtopf mit Wasser auf den kleinen Gaskocher, um Kaffee zu machen.
Kloppenburg zerrte an seinen Handschellen und war drauf und dran, mitsamt dem Stuhl umzustürzen. Dann rief er: »Hört mal, ihr Schlauberger! Ich muss pinkeln. Lasst mich mal
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