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Totensonntag

Totensonntag

Titel: Totensonntag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Jürgen; Tewes Reitemeier
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erwies sich eine seiner Lebensannahmen als falsch. Bis vor fünf Minuten hatte er noch geglaubt, dass dieses Problem nur Frauen betreffen würde, denn er selbst hatte immer die Kleidung gewählt, die er am einfachsten greifen konnte. Und jetzt? Genervt schloss er die Tür seines Kleiderschranks. Er hatte einfach nicht die geeigneten Klamotten.
    Dann fasste er einen Entschluss. Er hatte Karen Raabe in eine bessere Imbissbude eingeladen. Dort zog man nicht seinen besten Anzug an, den er im Übrigen auch gar nicht besaß. Er würde sich einfach nicht umziehen, sondern mit dem, was er jetzt trug, zu seinem Rendezvous gehen.
    Er kam etwas früher bei Silos Kebaphaus an als geplant. Jetzt besteht die letzte Möglichkeit, sich vor der Verabredung zu drücken, ging es Schwiete durch den Kopf. Unauffällig versuchte er einen Blick ins Innere des Lokals zu werfen. Augenblicklich schoss sämtliches Adrenalin, das ihm zur Verfügung stand, durch seinen Körper. Dieses Gefühl hatte Schwiete das letzte Mal in solcher Intensität erlebt, als vor einigen Jahren auf ihn geschossen worden war und die Kugel nur ein paar Zentimeter an seinem Kopf vorbeisirrte. Damals empfand er seine Körperreaktion als durchaus angemessen. Schließlich war er dem Tod gerade so von der Schippe gesprungen. Aber jetzt war der Grund für die Stresshormone eine Tee trinkende, gut aussehende Frau. War das normal?
    Mit wackligen Knien betrat Schwiete das Lokal. Der Wirt begrüßte ihn mit Handschlag und wollte seinem Gast einen freien Tisch zuweisen. Doch Schwiete wies zu der wartenden Karen Raabe, die jetzt ihren Kopf hob und lächelte. Er musste feststellen, dass es noch einen Superlativ von wackligen Knien gab. Dann sammelte er Mut und Kraft, lächelte ebenfalls und ging zu ihr. Am Tisch begrüßte er sie förmlich und war froh, als er endlich saß. Im nächsten Moment hatte der Wirt schon zwei Raki auf den Tisch gestellt.
    Karen Raabe schob ihr Glas zu Schwiete hinüber. »Ich bleibe bei Tee und Wasser«, sagte sie lächelnd. Diese Getränke hätte Schwiete auch bevorzugt, doch wie sollte er sich am besten verhalten? Auch was Höflichkeitsrituale gegenüber freizügigen Gastwirten betraf, bewegte er sich auf unsicherem Terrain. In den letzten zwanzig Jahren war er höchstens zehnmal in einer Kneipe gewesen. Egal, dachte Schwiete, meinen Raki trinke ich. Also prostete er Karen Raabe zu und nippte an seinem Glas. Die griff zu ihrem Tee und deutete eine ähnliche Geste an.
    Der Wirt brachte die Speisekarte. Die beiden wählten ihr Essen aus, und dann saßen sie sich gegenüber. Schwiete räusperte sich.
    »Tja, Frau Raabe, schön, dass Sie gekommen sind.«
    Karen Raabe lächelte, und ihre grünen Augen sandten kleine wunderschöne Blitze aus.
    Wenn du nicht weißt, worüber man reden soll, dann rede doch darüber, dass du nicht weiß, worüber du reden sollst, hatte mal jemand zu Schwiete gesagt. Also nippte er noch einmal an seinem Raki und füllte seine Lunge mit Kneipenluft.
    »Sie müssen wissen, Frau Raabe, ich bin kein Kommunikationswunder.« Er räusperte sich wieder. »Sondern eher das Gegenteil. Ich habe mich schon sehr auf diesen Abend mit Ihnen gefreut, nicht dass Sie mich missverstehen. Doch ich habe keinerlei Erfahrungen, wenn es darum geht, jemanden zu unterhalten.«
    Schwiete schwieg einen Moment, leerte sein Schnapsglas und stellte es mit entschlossener Geste zurück auf den Tisch. »Seit ich Sie gebeten habe, sich mit mir zu treffen, habe ich mir überlegt: Worüber kann ich mit Ihnen reden? Wie kann ich Sie unterhalten? Mir ist nichts eingefallen, was ich für angemessen gehalten hätte. Deshalb habe ich heute mehrfach versucht, Sie zu erreichen, um unsere Verabredung wieder abzusagen. Ich hatte jedoch nur Ihre Büronummer, und da habe ich Sie nicht erreicht.«
    »Was für ein Glück!« Karen Raabe lächelte Schwiete an. »Ich wäre sehr traurig gewesen, wenn Sie Ihre Einladung zurückgezogen hätten. Im Übrigen mag ich Männer, die zu ihrer Unsicherheit stehen und sie nicht durch Lautstärke und formal witzige Phrasen kaschieren.« Sie machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: »In Ordnung, Herr Schwiete, Sie haben mir gerade Ihre Unsicherheit gestanden. Wenn wir schon dabei sind, werde ich Ihnen etwas über mich verraten, was ich nicht jedem erzähle.«
    Wieder hielt sie inne und schien nach passenden Worten zu suchen. Auf einmal füllten sich ihre Augen mit Tränen, die sie vergeblich wegzuzwinkern versuchte. Schwiete entging ihr

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