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Totensonntag

Totensonntag

Titel: Totensonntag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Jürgen; Tewes Reitemeier
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Stimmungswechsel keineswegs. Sie holte tief Luft und begann dann zu erzählen: »Ich habe einige Jahre als Prostituierte gearbeitet. Doch ich habe es irgendwie geschafft, mein Studium abzuschließen. Das erste beste Jobangebot habe ich genutzt, um aus dem Milieu zu verschwinden.« Jetzt liefen ihr die Tränen die Wangen hinab. Sie versuchte sie mit dem Ärmel zu stoppen, verwischte jedoch nur ihr Make-up. »Ich wollte mich nicht mehr erniedrigen, und ich wollte mich nicht mehr erniedrigen lassen. Ich wollte schon vor Beendigung meines Studiums mehrfach aussteigen. Ich weiß nicht, wie oft ich daraufhin verprügelt worden bin, wie oft man mich misshandelt hat. Aber ich habe es geschafft. Ich bin jetzt Sozialarbeiterin und versuche Frauen zu helfen, die in einer ähnlichen Situation gelandet sind wie ich damals. Und ich versuche Männern, wie ich sie in meiner Zeit als Prostituierte erlebt habe, das Handwerk zu legen. Das sind meine erklärten Feinde!«
    Höveken und Hilde Auffenberg hatten schon eine Weile gewartet. Heute Abend wollte das Geburtstagsvorbereitungskomitee Nägel mit Köpfen machen. Man wollte alle Details festlegen, um Schwietes Geburtstag zum rauschendsten Fest des Jahres werden zu lassen. Und wer fehlte? Winter und Künnemeier! Als die beiden abgehetzt die Auffenberg’sche Küche, das Kommunikationszentrum des Ükernviertels, betraten, war Hövekens Stimmung bereits im Keller. Er hasste es, warten zu müssen.
    »Tut mir leid, dass wir zu spät sind«, brachte Winter außer Atem heraus. »Aber Willi wollte unbedingt noch einmal nach Bad Lippspringe.«
    »Herbert, da steht dein Sarg. Ich hatte dir ja versprochen: Ich bringe ihn dir zurück!«, versuchte Künnemeier das Zuspätkommen auf seine Weise zu entschuldigen.
    »Ach, lass doch diesen verdammten Sarg«, grummelte Höveken. »Den habe ich längst abgeschrieben. Ich habe der Versicherung den Diebstahl gemeldet, und fertig. Außerdem wisst ihr doch, dass ihr nicht mehr Detektiv spielen sollt. Wenn unser Schwiete euch erwischt, sperrt er euch ein. Wegen Behinderung der Polizeiarbeit! Und unsere schöne Party fällt ins Wasser, weil ihr hinter schwedischen Gardinen sitzt!«
    »Pah!«, erwiderte Künnemeier und hob zu einer Verteidigungsrede an.
    Doch Hilde Auffenberg erstickte sie im Ansatz. »Der Grund für unsere Verabredung heute ist der Geburtstag von Horst Schwiete. Unser lieber Herbert hat sich bereit erklärt, sein Sarglager auszuräumen. Einen Raum für die Feier hätten wir also schon.«
    Nach einer Stunde schrieb Künnemeier den letzten Merkposten auf seinen Zettel. Anschließend faltete er die Liste sorgfältig zusammen und steckte sie in seine Brieftasche.
    »Mensch, das wird ’ne Fete! Die wird unser Schwiete sein Lebtag nicht vergessen!«, rief der Schützenoberst. »Und von Feiern verstehe ich was, das könnt ihr mir glauben. So, und jetzt gehen wir alle in Silos Kebaphaus. Da essen wir einen Happen, und ich gebe einen aus. Wir können ja nicht immer unserer Hilde Auffenberg die Ecken leer saufen.«
    Die Begeisterung der anderen hielt sich in Grenzen. Sie waren müde und wollten ins Bett. Doch Künnemeier ließ keine Ausreden gelten.
    »Ach, ich freue mich schon auf einen richtig schönen Lammspieß mit Salat und Pommes frites«, schwadronierte der alte Schützenoberst, als er den Gastraum des Lokals betrat. Fast alle Plätze waren mittlerweile besetzt. Er wollte schon enttäuscht kehrtmachen, da fiel sein Blick auf einen Tisch, an dem ein Pärchen saß.
    »Ich fasse es nicht!«, polterte Künnemeier drauflos. »Unser Hauptkommissar mit seiner Freundin. Die hat er uns noch gar nicht vorgestellt.«
    Jetzt ist unser guter Schützenoberst aber völlig durchgeknallt, dachte Winter, der – wie die anderen beiden auch – von seinem Standort den Gastraum nicht recht überblicken konnte.
    Völlig ungeniert steuerte Künnemeier auf den Tisch zu, an dem Schwiete saß, klopfte auf die Tischplatte und fragte: »Ihr habt doch noch Platz, oder? Können wir uns noch dazusetzen?«
    Er winkte dem Rest seiner Leute und zwinkerte ihnen zu, noch bevor er eine Antwort erhielt.
    »Kommt, hier ist noch Platz.«
    Viel später, Schwiete hatte nun schon zum zweiten Mal in seinem Leben mehr als ein Glas Bier getrunken, brachte er, nachdem die etwas angeschwipste Runde seiner Mitbewohner und Nachbarn zum allgemeinen Aufbruch entschlossen war, Karen Raabe zu ihrem Auto.
    »Es war ein schöner Abend«, verabschiedete sie sich von ihm.
    »Ja.« Schwiete nickte.

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