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Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Titel: Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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zog in Fäden von seinen Händen, denn mit den Fingernägeln versuchte Juri, sie zu lösen.
    Jetzt wusste ich auch, warum sich Richard, solange ich ihn am Morgen noch gesehen hatte, keine Zigarette angezündet hatte. Er brauchte Sauerstoff in den Muskeln, und zwar mehr als Juri. Und die Chance war groß, dass er ihn haben würde, denn er war gut trainiert und hatte sich vermutlich wie ein Sportler auf diesen Angriff vorbereitet.
    Wo, verdammt, waren die Taucher, die Juri hätten in Empfang nehmen sollen? Hatte Richard sie weggeschickt? Als Herr über die Kommunikation und Koordination?
    Luftblasen stiegen auf, Juri hatte den Mund weit offen.
    Ertrinken ist der furchtbarste Tod, den ich mir vorstellen kann. Er dauert etwa drei bis fünf Minuten. Der Atemreflex ist unbezwingbar, aber weil statt Luft Wasser kommt, setzt ein Hustenreflex ein und verschließt die Stimmritzen. Man schluckt das Wasser. Dagegen revoltiert der Magen. Er erbricht sich. Dabei löst sich der Stimmritzenkrampf, der Atemreflex zieht mit dem Erbrochenen Wasser in die Lunge. Dort bildet sich Schaum. Süßwasser diffundiert außerdem sofort per Osmose aus der Lunge in die Blutbahnen. Das Blutvolumen verdoppelt sich innerhalb einer Minute, das Herz versagt vor Überanstrengung.
    Das war es, was ich sah. Juri schluckte bereits. Sein Körper strecke sich in Richards furchtbarem Klammergriff. Im nächsten Moment würde alles unumkehrbar sein. Wer erst einmal Süßwasser in den Lungen hat, ist kaum noch zu retten, selbst wenn man ihn rausholt und noch einmal reanimieren kann. Die Lunge ist aufgebläht, schaumig und hart. Und wer wieder atmen kann, läuft höchste Gefahr, binnen einer Woche an einer irreversiblen Lungenentzündung zu sterben.
    Juri hatte praktisch keine Chance mehr. Und was ihm nicht gelang, würde auch mir nicht gelingen: Richards Hände zu öffnen. Verfluchter Auftrieb! Außerdem ging mir der Sauerstoff aus.
    Verdammt, Benedikt, hilf! Wozu hast du mir deinen Segen erteilt? Diesen unnötigen, den ich nicht erbeten habe, der mich zurückzerrt ins Katholische, wiedereingliedert, abhängig und gläubig macht. Jetzt tu halt auch was dafür!
    Ich bekam Juris Sweatshirt zu fassen. Er krallte sich augenblicklich an mich. Ich musste ihm die Faust in den Solarplexus rammen. Das drehte das Paket weg. Es drohte mir zu entgleiten. Ich konnte gerade eben so noch Richards Schulter packen. Er war ein steinharter Klumpen Muskeln geworden, eingeschlossen und komplett gefangen in seinem Willen zu töten und dabei zu sterben. Ich bin sicher, er nahm nichts mehr wahr.
    Es gab nur einen Weg: Ich musste seinen Tod beschleunigen. Wenn ein Würgegriff judomäßig richtig saß, verlor der Gewürgte allein deshalb das Bewusstsein, weil man die Halsschlagadern abklemmte. Das vertrug das Gehirn nicht.
    Aber Richards starke Halsmuskulatur schützte ihn. Und mein Zwerchfell zuckte schon, wollte atmen. Letzte Möglichkeit. Ich ging ihm von hinten an den Hals. Seine Halsbeuger waren hart wie Eisenträger. Seine Haut weich und glatt. Ich fand die Stelle vor den Halsbeugern und drücke längs meine Zeigefingerkanten tief in sein Fleisch.
    Du Vollidiot! Kein Mörder ist es wert, dass du dein Leben hergibst!
    Urplötzlich löste sich das Paket auf. Der eine schwebte fort, in den andern hatte ich mich verkrallt, den ließ ich nicht los, den zog ich hoch, weil ich selber dringend Luft brauchte. Da erschienen auch plötzlich andere in schwarzen Neoprenanzügen, die Taucher.
    Dann Licht, Luft. Ich schnappte und hustete, ging wieder unter vor lauter Erschöpfung, kämpfte mich nach oben, wurde gepackt, gezerrt.
    Das Feuer auf der Promenade war gelöscht, wie ich sah, der Rauch hatte sich fast verzogen. Menschen drängten sich am Geländer. Ein Polizist stand an der Treppe.
    »Richard!«, schrie ich und schlug um mich. »Ihn müsst ihr retten!«
    Sie waren schon dabei. Zwei Taucher zerrten ihn aus dem Wasser und schleiften ihn wie einen Sack die Treppe hinauf auf die Promenade, wo er in sich zusammenfiel.
    Als ich endlich auch aus dem Wasser war, lag er bereits auf dem Rücken auf dem Boden. Seine Augen waren geschlossen, die Lippen bläulich, das Gesicht friedlich und wehrlos. Zwei Sanitäter gingen gerade neben ihm auf die Knie. Die Polizisten drängten die Leute weg, auch mich.
    Ein zweiter Rettungswagen gesellte sein Blaulicht zum ersten, der an der Brücke stand. Jemand gab mir meine Lederjacke. Cipión kam angerannt an der Leine von Derya. Sie wurde ebenfalls von der

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