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Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Titel: Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Polizei abgefangen und weggehalten. Aber sie ließ Cipión los. Er stürzte sich auf Richard, stupste ihn, wedelte ihn an. Aber sein großer Meister regte sich nicht. Die Hände blieben tot.
    »Bitte nicht! Nein! Lasst mich zu ihm!«
    Aber man hielt mich fest. Zwang mir eine Decke auf. Derya legte den Arm um mich und strich mir nasses Haar aus dem Gesicht. »Scht! Ganz ruhig, Lisa. Die machen das schon. Du kannst ihm jetzt nicht helfen.«
    Zwei Sanitäter bahnten sich mit einer Trage den Weg durch die Menge. Polizisten hielten die Bresche für den Rückweg frei. Zu viert hoben sie das inzwischen in Goldstanniol eingewickelte Paket auf die Trage, dann liefen sie zum Rettungswagen. Die Türen fielen satt ins Schloss, der Wagen startete mit Blaulicht, schaltete das Martinshorn zu, wendete und raste davon.
    Finley stand bleich bei uns mit Cipión an der Leine. »Er wird es schaffen! Bestimmt!«

69
    Im Polizeiauto fuhren wir ins Hotel. Wir verabredeten uns in fünf Minuten unten. Finley würde ein Taxi bestellen, Derya brachte mich bis zur Zimmertür. »Geh unter die Dusche!«, ermahnte sie mich. »So viel Zeit haben wir. Und pack ein paar Sachen für ihn ein. Waschbeutel, Schlafanzug.«
    Bibbernd trat ich in unser Zimmer und ließ Cipión von der Leine. Er schnüffelte routinemäßig an Richards ordentlichem kleinem Reisekoffer vorbei, der gepackt neben dem Schrank stand. Nicht hingucken! Ich schälte mich aus den nassen Klamotten. Die heiße Dusche half nicht wirklich gegen das Zittern.
    Beim Griff in meine unordentliche Tasche nach Jeans und Pullover fiel mir ein Briefumschlag in die Hände. Er war zugeklebt, vorne drauf stand in Richards akkurater Schrift mein Name.
    Ich musste mich aufs Bett setzen. Darum also war er noch mal umgekehrt, nachdem wir heute früh das Zimmer verlassen hatten. Mir einen Abschiedsbrief hinlegen. O Gott, Richard!
    Ich habe keine Ahnung, was ich anzog. Die Lederjacke war das Einzige, was trocken geblieben war. Ich steckte den Umschlag in die Innentasche.
    Und jetzt? Ich brachte es nicht fertig, Richards Koffer zu öffnen und seinen Kulturbeutel und einen Schlafanzug herauszunehmen. Da war ich auf einmal abergläubisch wie in meinen katholischen Kindertagen.
    Gott ist ein Sadist. Er enttäuscht, wo wir mit ganzem Herzen wünschen. Er verlangt Hoffnungslosigkeit und Demut, bevor er schenkt. Eine simple Rechnung: Dann ist der Dank größer.
    Mit Richards zivilisatorischem Überlebenskit in der Klinik zu erscheinen kam mir vor, als würde ich mich über die Möglichkeit hinwegsetzen, dass man mir mitteilte, er habe es leider nicht geschafft. Was ich dann tun würde? Keine Ahnung. Durchdrehen, einfach nur durchdrehen.
    Aber vorher musste noch Alltag gedacht werden. »Du bleibst hier!«, schärfte ich Cipión ein.
    Dann griff ich doch in Richards Köfferchen, zog eines seiner Sakkos heraus und breitete es auf dem Teppich aus. »Leg dich da drauf. Aber mach keine Knitter. Er bringt mich sonst um!«
    Dumm rausgeschwätzt haut auch um. Und kaltes Wasser stoppt Tränen nur bedingt.
    Als ich unten ankam, wartete das Taxi schon, das uns zur Charité bringen sollte, Mittelallee, Internistische Notfallversorgung.
    Derya saß hinten neben mir und streichelte meine Hand.
    Finley hatte sein Lächeln gänzlich verloren. »Warum hat er das getan?«, murmelte er immer wieder. Aber sprechen konnten wir nicht vor dem Taxifahrer.
    Dafür sprach er. Sie hätten es gerade in den Nachrichten gebracht, im Bundestag habe es einen Attentatsversuch auf den Papst gegeben. Der Bundesadler sei beinahe heruntergefallen. Er glaube ja nicht, dass dieser Katzenjacob dafür verantwortlich sei. So ’n Quatsch glaube er nicht. »Aber sie sagen, der Katzenjacob soll am Bundestagsufer gewesen sein. Und plötzlich hat er sich in Feuer und Gestank aufgelöst. Und nu isser weg. Sie suchen ihn, heißt es, in der Spree! Aber ich wette, der taucht nie wieder auf. Wenn Sie mich fragen, das ist alles Verarsche. Die Medien haben den erfunden. Oder der CIA oder der KGB . Oder die Griechen.« Ich begegnete seinen braunen Augen im Rückspiegel. »Sind Sie nicht die, die die Lottozahlen beeinflussen kann?«
    »Nein!«
    »Schade, sonst könnten Sie mir mal einen Sechser zaubern. Wenn Sie mich fragen, das mit der Geiselnahme in Transsilvanien ist auch nur so eine Erfindung der Medien. Oder waren Sie dort? Ich nicht. Ich glaube jedenfalls nur noch, was ich mit eigenen Augen sehe.«
    Die Charité ist ein komplettes Viertel am Spandauer

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