Totenstimmung
Lassen Sie uns wieder ins Wohnzimmer gehen. Wir haben noch ein paar Fragen.«
»Möchten Sie noch einen Kaffee?«
Frank und Ecki winkten ab.
Volker Radermacher ging voran, setzte sich wieder in den Wohnzimmersessel und sah die beiden Kommissare erwartungsvoll an.
»Sie haben gerade von der Vorliebe fürs Busfahren erzählt. Hat Elvira Theissen die auch?« Ecki hatte sein Notizbuch aufgeschlagen.
»Absolut. Elvira ist nach der Arbeit oft noch stundenlang in der Stadt unterwegs. Meist zwischen Rheindahlen, Rheydt und Giesenkirchen. Fragen Sie mich bitte nicht, warum. Möglich, dass sie einige der Busfahrer, die auf dieser Linie Dienst tun, besonders mag. Möglich, dass sie die Strecke besonders gerne fährt. Es kann aber auch ganz andere Gründe haben.«
»Ich dachte, Sie kennen Elvira Theissen gut?«
»Selbstverständlich. Allerdings lebt sie noch nicht lange in dieser WG . Ein knappes halbes Jahr. Wir sind im Team im Augenblick etwas unterbesetzt, müssen Sie wissen.« Volker Radermacher machte ein bekümmertes Gesicht. »Auch unser Träger muss sparen. Leider.«
»Ist Elvira Theissen gerne draußen in der Natur?«
»Na ja. Ich denke, nicht mehr oder weniger als andere Menschen auch, Herr Borsch.«
»Sie ist also nicht regelmäßig zum Beispiel im Bresgespark oder im Dohrer Busch unterwegs?«
»Warum fragen Sie ausgerechnet danach? Haben Sie einen Hinweis auf den Aufenthaltsort von Elvira?«
»Ich hätte Sie ebenso gut nach dem Stadtwald fragen können. Auch der liegt an der Strecke der Linien 4 und 14.«
»Ja, stimmt.«
»Wo hat Elvira Theissen denn vorher gewohnt? Bevor sie nach Rheydt gezogen ist?«
»Wechselweise bei ihren Eltern und in verschiedenen Einrichtungen. Dann wurde es aber höchste Zeit, sie auf eigene Füße zu stellen. Alle Beteiligten waren dafür, und deshalb konnte Elvira nach Rheydt ziehen.«
Ecki machte sich eifrig Notizen. »Gibt es jemanden, mit dem Frau Theissen Streit hat, jemanden, mit dem sie nicht klarkommt, vor dem sie möglicherweise sogar Angst hat?«
Volker Radermacher sah den Kommissar erschrocken an. »Sie meinen, jemand könnte Elvira etwas angetan haben?« Er schüttelte entschieden den Kopf. »Nein. Wer sollte so etwas tun?«
»Wir dürfen keine Möglichkeit außer Acht lassen.«
Der Sozialarbeiter nickte irritiert. »Ich kann mir das nicht vorstellen, um ehrlich zu sein.«
»Haben oder hatten die Bewohner dieser WG Stress? Kann es sein, dass Frau Theissen deshalb weggelaufen ist?«
»Auf keinen Fall. Elvira ist wegen ihrer fröhlichen Art bei allen Mitbewohnern beliebt.«
»Hat sie einen Freund?«
»Nein.«
»Können Sie sich vorstellen, dass es außerhalb der WG Menschen gibt, die nicht mit ihr klarkommen?«
»Nein. Wie gesagt, sie ist ein fröhlicher Mensch.«
»Dann ist sie im Umgang also nicht schwierig?«
»Wie meinen Sie das, Herr Kommissar?« Radermachers Augen verengten sich. Er schien die Antwort bereits zu ahnen.
»Nun«, Frank Borsch räusperte sich, »verstehen Sie mich bitte nicht falsch, aber Sie haben selbst von den, ich sage mal, Engpässen bei der Betreuung gesprochen. Auch Sozialarbeiter, Pädagogen und Krankenpfleger sind nur Menschen, die nicht selten unter ganz besonderem Stress stehen. Und es gibt ja genug Beispiele dafür, wie Menschen in Extremsituationen reagieren.« Er sah den Betreuer aufmerksam an.
Volker Radermachers Gesicht rötete sich zusehends. Unwirsch richtete er sich in seinem Sessel auf. »Was wollen Sie damit sagen? Dass wir Bewohner psychisch unter Druck setzen? Oder dass ich Elvira körperlich misshandelt habe und sie deshalb verschwunden ist?«
Michael Eckers versuchte den Mann zu beschwichtigen, dessen Gesicht inzwischen puterrot angelaufen war. »Nehmen Sie die Frage bitte nicht persönlich. Niemand behauptet, dass Sie Ihrer Aufgabe nicht gerecht werden. Es ist nur so, dass wir alle Eventualitäten ansprechen müssen.«
Aber der Sozialarbeiter wollte sich nicht beruhigen. »Wie können Sie so etwas auch nur denken? Niemand in unserer Einrichtung, ich wiederhole: niemand, misshandelt diese Menschen. Damit es gar nicht erst zu Situationen kommt, denen wir nicht gewachsen sein könnten, gibt es genug psychologische Instrumentarien, die frühzeitig greifen. Ich sage nur: Gruppengespräche, Supervision, was immer Sie wollen. Wir sind sehr wohl in der Lage, unsere Bewohner wie auch uns selbst vor Überreaktionen zu schützen. In einem Punkt haben Sie allerdings recht, wir sind keine Maschinen.«
»Wie reagiert
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