Totenstimmung
einfachen Blechschirmen steckten, verbreiteten ein trübes Licht. Als Ecki gegen eine der Fassungen stieß, begann das Licht zu flackern.
»Sieh dir das an.« Frank deutete auf einen Zugang im hinteren Teil des Kellers.
Das helle Neonlicht gab den Blick frei auf ein modern eingerichtetes Büro samt Flachbildschirm, Fax und großem Drucker. Die in verschiedenen Grautönen gehaltene elegante Einrichtung stand im krassen Gegensatz zu der modrig riechenden Kellerflucht.
An einer Wand hingen mehrere große Uhren. Jede von ihnen zeigte eine andere Zeit: 10.46 Uhr, 9.30 Uhr und 9.15 Uhr. Die gegenüberliegende Wand wurde ganz von Regalen mit ordentlich aufgereihten und einheitlich beschrifteten Aktenordnern eingenommen. Frank deutete auf die Uhren und sah Ecki fragend an.
Aber Ecki hatte etwas anderes entdeckt. »Guck dir die Boxen an.« Ecki stand staunend vor der mächtigen mattschwarz schimmernden Hi-Fi-Anlage, neben der stapelweise CD s mit klassischer Musik lagen, obenauf eine leere CD -Hülle, die zu Aufnahmen mit Arien von Maria Callas gehörte.
»Solche Boxen kosten ein Vermögen. High End. Die sehen nicht nur gut aus, die klingen auch phantastisch. Ich habe so was mal bei einem Händler in Düsseldorf gesehen.«
Frank nickte abwesend. Er stand vor der Regalwand und hatte einen der Ordner herausgezogen. Er blätterte in ihm, stellte ihn zurück und nahm den nächsten zur Hand. Auch dessen Inhalt überflog er nur kurz, um dann nach einem dritten zu greifen.
»Jennes muss irre sein. Er ist wahnsinnig. Das kann nicht sein, was ich hier sehe.« Frank drehte sich zu Ecki um. »Der Typ hat Zeitungsberichte aus aller Welt ausgeschnitten und archiviert. Berichte über Gewaltverbrechen, über Anschläge, Hinrichtungen. Was du dir in diesem Bereich nur vorstellen kannst, findest du hier. Fein säuberlich nach Themen geordnet und nach Datum sortiert. Hier.« Er deutete auf den Ordner in seiner Hand. »Thema ›Exekution‹. Jennes hat einen kompletten Ordner mit Berichten über Todeskandidaten in US -Gefängnissen. Ihre Taten, ihre Gerichtsverhandlungen, ihre Todesart und ihr Todeszeitpunkt. Zum Teil hat er die Artikel mit Randbemerkungen versehen. Das Ganze ist dann noch einmal nach Todesarten sortiert: Hinrichtung durch den Strang oder mit der Giftspritze. Ich fasse es nicht.«
Ecki war neben Frank getreten. »Wozu zum Teufel brauchte er das ganze Zeugs?«
Frank stellte den Ordner an seinen Platz zurück und fuhr mit dem Finger über die Rücken der anderen Aktenordner. Dann hielt er inne und zog einen hervor.
Frank deutete auf das Inhaltsverzeichnis. »Jennes hat nicht nur Berichte über Gräueltaten, er hat auch Totenzettel gesammelt, wie man sie früher bei Beerdigungen verteilt hat.«
Er schlug den Ordner zu. »Widerlich. Er hat doch tatsächlich unter das Verzeichnis geschrieben: Mein Archiv der Erlösung von dem Übel.«
»Krank. Was anderes fällt mir dazu nicht ein.«
»Ich habe Angst um Heinz-Jürgen.«
Ecki ging zum breiten Schreibtisch, auf dem einige Papiere verstreut lagen. Es sah so aus, als hätte Jennes seinen Arbeitsplatz erst vor wenigen Minuten verlassen.
Ecki nahm einige Blätter auf. »Hör dir das an: Ästhetik des Horrors. Katharsis und Erleuchtung. Ein Versuch von Hendrik Jennes. Mönchengladbach, 23. November 2011.«
»Klingt wie eine wissenschaftliche Arbeit.« Frank sah an der Regalwand entlang. »Lass uns hier verschwinden. Um das Büro kann sich die KTU kümmern. Wir müssen Heini finden, bevor es zu spät ist.«
»Augenblick noch.« Ecki hatte sich in Jennes’ Notizen vertieft. »Hier heißt es in einer Art Vorwort: Außenseiter ziehen mich an. Ich bin selbst ein Outsider. Autoritäten haben mir immer zu schaffen gemacht. Ich hatte viele kleine Jobs: Schreiner, Fischer, ich habe in Fabriken gearbeitet. Und ich habe es immer gehasst. Ich werde niemals verstehen, wie Leute durchs Leben kommen, indem sie der Stechuhr und Autoritäten gehorchen. Deswegen bin ich fasziniert von anderen, die noch extremer sind als ich. Die ihren Weg gefunden haben. Jon Krakauer.«
»Ecki!«
»Warte. Er hat sogar dieses Lied archiviert. Das mit den Schmetterlingen.« Ecki räusperte sich. »›Wer Schmetterlinge lachen hört, der weiß, wie Wolken schmecken, der wird im Mondschein, ungestört von Furcht, die Nacht entdecken. Wer in sich fremde Ufer spürt und Mut hat, sich zu recken, der wird allmählich ungestört von Furcht sich selbst entdecken. Abwärts zu den Gipfeln seiner selbst blickt er
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