Totenstimmung
Dunkelheit?«
Carolina Guttats Herz begann zu rasen. Sie strich über ihr Kostüm, aber das Rasen wurde stärker. Sie musste sich zwingen, nicht den Raum zu verlassen.
Hendrik Jennes deutete mit neugierigem Blick auf die Staatsanwältin. »Diese Frau hat Angst. Warum?«
»Hören Sie endlich mit diesem Psychoscheiß auf. Wo ist er?« Ecki stand kurz davor, Jennes an den Kragen zu gehen.
»Von mir erfahren Sie nichts.«
»Angst vor der Dunkelheit, das ist es, nicht wahr?« Frank sah Jennes aufmerksam an. »Und Angst vor den Eltern, die Sie doch so sehr geliebt haben. Wie kann man das aushalten: jemanden zu lieben und gleichzeitig zu hassen? Sie müssen sehr gelitten haben, Hendrik.«
Der Antiquitätenhändler schloss erneut die Augen. »Musik. Ich brauche Musik. Bringt mir die Musik von Maria Callas. Musik reinigt unsere Seelen und macht sie frei von Angst. Wir alle brauchen mehr Musik, sie rettet unsere Welt. Bringt mir Maria Callas, Haydn und Chopin. Lieben Sie auch Chopin, Frau Staatsanwältin?«
Frank stand auf. Wenn Jennes Musik brauchte, sollte er sie bekommen.
»Ich begleite Sie.« Carolina sprach automatisch in dem offiziellen Ton, den sie in Gegenwart von Tatverdächtigen pflegten.
Als sie die Tür des Vernehmungszimmers hinter sich geschlossen hatte, lehnte sich die Staatsanwältin an die Flurwand. Sie legte ihren Kopf zurück und drückte ihre Handflächen gegen die kühle Wand.
Ihr Atem flatterte.
Johanna Eßers schüttelte unwirsch den Kopf. »Ich lasse mich von so einem jungen Küken nicht einfach wegschicken. Ich will zu meinem Neffen.« Sie deutete auf den Korb, den sie mitgebracht hatte. »Da ist Linsensuppe drin. Die ist für Hendrik. Und die werde ich ihm jetzt bringen.«
Jasmin Köllges sah hilflos zu ihrem Kollegen, der sie zur Hauptwache gerufen hatte. »Kannst du ihr das nicht erklären?« Warum hatte sie nicht längst Feierabend gemacht, dann wäre ihr das hier erspart geblieben, dachte sie verärgert. Borsch und Eckers saßen mit Guttat in der Vernehmung, die restliche MK war angeblich mit wichtigen Ermittlungen beschäftigt und hatte keine Zeit für eine »durchgeknallte Alte«. Sie konnte sich die Schadenfreude der Kollegen vorstellen, als sie den Lageraum verlassen hatte, um Jennes’ Tante in Empfang zu nehmen.
»Sie haben meinen Kollegen schon richtig verstanden. Sie können den Korb gerne hierlassen, aber ich kann Sie auf keinen Fall zu ihm bringen.«
»Dann warte ich.« Entschlossen nahm Johanna Eßers den Korb vom Tresen der Hauptwache und drückte ihn an ihre geblümte Kittelschürze. Ohne ein weiteres Wort blieb sie mitten im Raum stehen.
Jasmin lagen bereits einige passende Bemerkungen auf der Zunge, als die Tür zur Wache aufgeschoben wurde und eine weißblonde Frau mit kurzen Haaren eintrat. Hinter ihr schob sich ein junger Mann in den Raum und ging an Johanna Eßers vorbei zum Tresen. Er hielt ein bemaltes Blatt in der Hand. Lächelnd schob er seine Brille auf die Nasenwurzel. »Ich bin Tommy. Fühl mal meine Muskeln. Ich bin stark, jaha.«
»Hier muss es sein.« Ecki deutete auf den Altbau. Das Gründerzeithaus im Ortsteil Dohr sah unbewohnt aus. Tommy hatte die Fassade gut getroffen. Er musste ein fotografisches Gedächtnis haben, da er nur ein einziges Mal in dem Haus gewesen war. Die wenigen noch vorhandenen Stuckelemente waren akribisch wiedergegeben, ebenso wie die dunkelgelbe Hausfarbe, die an vielen Stellen abblätterte. Die dunkelbraun gestrichenen Holzrollläden waren halb heruntergelassen.
Frank versuchte, durch die Fenster etwas zu erkennen. »Nichts. Das Haus scheint leer zu stehen.« Er klingelte, aber er hörte kein Geräusch. »Abgestellt.« Er rüttelte an der dunklen Haustür, aber sie war fest verschlossen.
Ecki deutete auf die nahe Straßenecke. »Versuchen wir’s von hinten. Vielleicht haben wir Glück.«
Auf dem Weg zu den Gärten, die sich an die Rückseiten der Häuser anschlossen, deutete Frank auf die Bäume, die am Ende der kurzen Stichstraße zu sehen waren. »Ist das nicht der Dohrer Busch?«
Ecki nickte. »Sieht so aus.«
Sie waren dem unbefestigten Weg, der von der Stichstraße abging, ein Stück gefolgt, als Frank stehen blieb. »Das muss der Garten sein.«
Sie standen vor einer Garage aus löchrigem Wellblech, die nur zum Teil den Blick auf das verwilderte Grundstück freigab, das zu dem leeren Haus gehören musste.
»Komm.« Ecki hatte bereits kräftig gegen das schmiedeeiserne Gartentor gedrückt, das quietschend
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